Hohn und Spott für das Eunuchen-Medium

Chinas populärster Blogger nimmt nach dem Brand im neuen Hauptquartier das Staatsfernsehen CCTV aufs Korn

Der Blogger Xu Lai ist am Samstag in einem Pekinger Buchladen niedergestochen worden. Zuvor hatte er einen Vortrag über seine Beiträge gehalten. Blogger-Kollegen rätseln nun, ob die Täter von jemandem gedungen wurden, der sich durch Xu gestört fühlte. Ein Wochenblatt zählte ihn 2008 zu Chinas 20 einflussreichsten Bloggern. LI

PEKING taz ■ Han Han (27) sieht aus wie ein Popstar. Er ist ein Allround-Talent, fährt Autorennen, schriftstellert und tritt in Talkshows auf. Mit bissigen Internetkommentaren spießt er Geschehnisse des Alltags auf. Vor zwei Jahren kürte ihn Chinas großes Internetportal Sina.com zum populärsten Blogger des Landes. Jetzt ist er wieder in aller Munde. Zum Vergnügen seiner Fans beschäftigt er sich mit einem Ereignis, das allerorten Erstaunen und Bestürzung ausgelöst hat: dem Brand im 159 Meter hohen Nordgebäude des neuen TV-Zentrums in Peking.

Die Bilder vom Feuer gingen um die Welt. Verantwortlich für das Desaster waren Funktionäre des mächtigen Staatssenders CCTV selbst: Sie hatten ein mehr als 100.000 Euro teures Feuerwerk auf dem Gelände zünden lassen – ohne sich um Genehmigungen und Sicherheitsvorkehrungen zu scheren. Inzwischen wurden zwölf Personen festgenommen. Dazu gehören nicht nur Angestellte der Feuerwerksfirma, sondern auch Kader des Staatssenders wie Xu Wei, der für den über eine halbe Milliarde Euro teuren Neubau verantwortlich ist.

„So wird wohl ein CCTV-Abteilungsleiter wegen seiner Liebe zu Raketen und Krachern in die Geschichtsbücher eingehen“, bloggte Han Han. Wie viele Chinesen hege er „schwarze Gedanken“ gegenüber dem mächtigen und arroganten Monopolsender: „Wie viele üble Taten hat CCTV in den vergangenen Jahrzehnten verübt, die Lüge über die Wahrheit gestellt, die öffentliche Meinung manipuliert, Intellektuelle verfolgt, Fakten verdreht, Missetaten verheimlicht, Probleme vertuscht und falsche Bilder von Harmonie gezeichnet?“

Sogar die Nachricht über den Brand im eigenen Hauptquartier habe CCTV heruntergespielt. Han Han: Hätte hingegen das Gebäude der britischen BBC oder eines chinesischen Provinzsenders wegen eines Feuerwerks gebrannt, „dann wäre CCTV auf die Nachricht gesprungen. Es hätte die Bilder immer wieder ausgestrahlt.“ Dies demonstriere wieder einmal, wie verlogen und unglaubwürdig die Medien unter der Kontrolle der KP-Propagandaabteilung seien, „so wie vor 50 Jahren“. Seine große Hoffnung sei nun, „dass dieses Feuer die Regierung dazu treibt, ernsthaft darüber nachzudenken, das Nachrichtenmonopol des Zentralfernsehens aufzugeben“.

Ein „Eunuchen-Medium“ sei CCTV, das sich selbst kastriert habe, spottet Han Han und spielt damit auf den Spitznamen an, den die Pekinger dem verdrehten CCTV-Turm gegeben haben: „Große Unterhosen“. Das abgebrannte Nebengebäude sei „das Ding in den Großen Unterhosen“.

Im Internet wurden Han Hans Kommentare von den Zensoren aus seinem Blog gelöscht. Zuvor aber hatten seine Fans den Eintrag kopiert und auf anderen Seiten verbreitet. JUTTA LIETSCH