Ausreise in die USA als allerletzter Ausweg

Die ersten von rund 5.000 Mescheten verlassen die Region Krasnodar im Süden Russlands. Als Minderheit ohne Pass und Rechte fliehen die Muslime vor jahrelanger Unterdrückung und Diskriminierung durch die örtlichen Behörden

BERLIN taz ■ Nach dem Moto „Abschieben, und das möglichst weit weg“ praktiziert der Moskauer Kreml derzeit eine neue Form effektiver Minderheitenpolitik. Nach einem Bericht des russischen Fernsehsenders NTW verließen elf Mescheten am Mittwoch das südrussische Gebiet Krasnodar in Richtung USA. Die US-Behörden hatten sich den Angaben zufolge bereit erklärt, allen Angehörigen des turkotatarischen Volkes die Einreise zu ermöglichen. Laut Angaben der russischen Menschenrechtsorganisation Memorial handelt es sich um rund 5.000 Personen.

1944 hatte der sowjetische Diktator Josef Stalin die Mescheten, die mehrheitlich sunnitische Muslime sind und im heutigen Georgien an der Grenze zur Türkei siedelten, nach Zentralasien deportieren lassen. Von den damals 130.000 Deportierten überlebte nur etwa ein Drittel die Zwangsumsiedlung. Im Juni 1989 kam es nach jahrzehntelangen Spannungen im usbekischen Ferganatal, wo die Mehrheit der Mescheten lebte, zu Pogromen, bei denen 100 Menschen getötet wurden.

Moskau ließ daraufhin 16.000 Mescheten nach Russland ausfliegen, von denen sich ein Teil in der südlichen Region Krasnodar niederließ. Dort strandeten auch Tausende Mescheten, die bis Mitte Juli 1989 aus Usbekistan geflohen waren und vergeblich versucht hatten, nach Georgien zu gelangen.

Schätzungen zufolge leben derzeit noch rund 10.000 Mescheten im Gebiet Krasnodar. Und das unter menschenunwürdigen Bedingungen. Denn seit Jahren ist die Minderheit dort allen erdenklichen Schikanen seitens der örtlichen Behörden ausgesetzt. So verabschiedete das lokale Parlament 2002 ein Gesetz, das es der Miliz erlaubt, gegen ethnische Minderheiten vorzugehen, die nicht polizeilich gemeldet sind. Für derartige Fälle sieht das Gesetz „Maßnahmen administrativer Ausweisung“ vor. Gemeldet sind die Mescheten in der Regel nicht, denn ihnen wird ein russischer Pass verweigert – obwohl sie 1989 Staatsbürger der Sowjetunion waren, deren Rechtsnachfolge Russland anerkannt hat.

Ohne gültige Papiere ist es unmöglich, sich polizeilich anzumelden, eine offizielle Arbeit aufzunehmen oder sich medizinisch behandeln zu lassen. Flankiert werden diese Diskriminierungen durch Razzien, bei denen sich oft Gruppen von Kosaken durch ein besonders gewalttätiges Vorgehen hervortun.

„Wir haben keine Möglichkeit, gegen diese Diskriminierungen gerichtlich vorzugehen“, sagt Svetlana Gannuschkina, die bei Memorial für Flüchtlingsfragen zuständig ist. Die vom örtlichen Gouverneur abhängigen Gerichte würden die Eingaben nicht annehmen. „Und wo es keine negative Entscheidung gibt, können wir nicht in die nächste Instanz gehen.“ Zwar müsse man den USA für ihre Aufnahmebereitschaft dankbar sein, doch eine Lösung des Problems sei die Auswanderung der Mescheten keinesfalls. „Dazu bedarf es politischen Willens“, sagt Gannuschkina. „Doch der fehlt – auf allen Ebenen.“ BARBARA OERTEL