„Berlin liegt mit 100 Euro an der Spitze“

Der Vorsitzende der Landeselternvertretung André Schindler befürwortet statt des privaten Schulbuchkaufs Lernmittelfonds, also Ausleihmodelle. Basis müsse ein Solidaritätsprinzip in schulischer Eigenverantwortung sein

taz: Stimmt es , dass das Berliner Büchergeld an manchen Schulen über 100 Euro liegt?

André Schindler: Ja, es soll Schulen geben, die Listen mit Forderungen über dem Höchstbetrag ausgegeben haben. Der Senat bittet darum, ihm solche Fälle mitzuteilen. Mehr als 100 Euro müssen nicht gezahlt werden.

Liegt Berlin mit einem Höchstbetrag von 100 Euro Büchergeld pro Schüler und Schuljahr im Bundesdurchschnitt?

In keinster Weise, wir liegen damit absolut an der Spitze. Die Brandenburger Lernmittelverordnung veranschlagt zum Vergleich maximal 30 Euro an weiterführenden Schulen. Die Berliner Obergrenze verleitet dazu, diesen Betrag auszunutzen.

Wie sah die Situation am ersten Schultag aus?

Es ist nicht zu einem Chaos gekommen. Eine genaue Bilanz kann man erst nächste Woche ziehen. Bücher sind an meiner Schule in jedem Fall vorhanden, weil es ja einen Bestand gibt. Vom Büchergeld wird nicht alles neu gekauft. Wir haben einen Lernmittelfonds eingerichtet. Schwierigkeiten gab es nur, weil die Einzahlungen der Eltern in die Ferienzeit fielen. Wir haben daher die restliche Summe aus dem Fonds der Elternvertreter vorgestreckt.

Welche Finanzierungsmodelle werden angewandt?

Es gibt die Möglichkeit, für 100 Euro Bücher selbst zu kaufen, die sich dann im privaten Besitz des Schülers befinden. Was wir befürworten, ist das „Leihsystem“. Grundlage ist ein Solidaritätsprinzip in Eigenverantwortung der Schulen. Ein bestimmter, von den Lehranstalten und Eltern festgelegter Prozentsatz wird in einen Fonds eingezahlt. Die Empfehlung liegt bei 50 Euro. Die Bücher werden in Sammelbestellungen über die Schulverwaltung in Klassensätzen angeschafft und an die Schüler verliehen. Vorteil ist dabei, dass die Buchhändler der Behörde einen Preisnachlass von bis zu fünfzehn Prozent gewähren. An meiner Schule haben wir 40 Euro veranschlagt, andere Schulen nehmen 60 Euro.

Ein Anwalt der Buchhändler sieht in dem Umweg übers Schulamt eine Art Geldwäsche.

Das ist völlig abwegig. Für die Verlage wird das Modell mit den 100 Euro zu einer Steigerung des Umsatzes führen. Aber nicht zu einer Verbesserung der Schulbuchsituation!

Wenn es in einer Klasse unterschiedliche Systeme der Beschaffung gibt – besteht dann nicht die Gefahr, dass die Schüler irgendwann mit verschiedenen Ausgaben arbeiten?

Im Prinzip schon. Der Maßstab für den Unterricht ist zwar der Schulbestand. Alle vier Jahre gibt es aber eine neue Auflage. Wenn jemand privat sein Mathebuch kauft, könnte er tatsächlich kleine Abweichungen haben.

Wird der lange vernachlässigte Buchbestand durch die Eigenbeteiligungen aktualisiert?

Ja, in gewisser Weise. Vorher waren die Bezirke stellvertretend für die Schulen verantwortlich, da ist viel Geld in völlig andere Kanäle geflossen.

Werden Schüler nun als sozial schwach geoutet, wenn sie die Befreiung von Schulbuchkosten in der Schule abstempeln lassen?

Nein, das wird vertraulich im Sekretariat geregelt. Ich befürchte, dass ein indirekter Rückschluss bei dem 100-Euro-Modell möglich ist. INTERVIEW: CG, DIS