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wie großvater in die zeitung kam von JOACHIM SCHULZ

Das Leben meines Großvaters ist nie besonders spektakulär gewesen. Seit je beschränken sich seine Wünsche im Großen und Ganzen darauf, drei Mahlzeiten am Tag zu bekommen und abends in seinem Lieblingssessel vor der Heizung sitzen zu dürfen, und nur ganz selten gibt er sich mal einer so extremen Ausschweifung hin wie einer Runde Fünftelpfennigskat im „Goldenen Löwen“.

Infolgedessen ist es kein Wunder, dass der Name meines Großvaters niemals in einer Zeitung aufgetaucht ist. Zwar hätte es dafür zumindest einmal durchaus einen triftigen Grund gegeben: Denn als am 9. April 1940 der schwere Kreuzer „Blücher“ im Oslofjord versank, gehörte mein Opa sensationellerweise zu den Überlebenden, obwohl er sich, weil Heizer, zum Untergangszeitpunkt irgendwo in den Tiefen des Schiffsrumpfs befand und ihm überdies ein Granatsplitter im Nacken steckte; die deutschen Postillen aber waren zu dieser Zeit ja bekanntlich viel zu sehr mit Jubelgesängen auf gewisse Gangster von welthistorischer Bedeutung befasst, als dass sie sich um einen zufällig nicht ertrunkenen Heizer kümmern konnten. Doch das kam Großvater vermutlich eher entgegen, denn nichts lag ihm jemals ferner, als auf Teufel komm raus ins Blickfeld der Öffentlichkeit gelangen zu wollen.

Vor kurzem aber hat er das unfreiwilligerweise doch noch geschafft, und die Ursache dafür bestand in seiner Angewohnheit, die freien Tage seines Rentnerdaseins auf dem Fahrrad zu verbringen, mit dem er trotz seines Alters gern stundenlang durch die Wiesen und Felder der näheren Umgebung strampelt. An einem bestimmten Punkt seiner gewöhnlichen Tour indes gilt es, eine breite Straße zu kreuzen: Mein Großvater stoppte vorschriftsgemäß, guckte nach links, guckte nach rechts und nahm dann die Überquerung der Straße in Angriff, da er „erst in hundert Kilometern Entfernung“ (O-Ton Opa) ein herannahendes Fahrzeug erblickte. Die Fahrerin des genannten Wagens jedoch sah das anders und stieg volles Pfund in die Eisen. Das wiederum veranlasste einen hinter ihr befindlichen Tanklastzugfahrer dazu, dasselbe zu tun, und das schließlich führte dazu, dass – die Straße war nass und glitschig – der Lkw die niedrige Böschung hinunterrutschte und auf einen benachbarten Acker kippte.

Blessuren hat glücklicherweise keiner der Beteiligten bei diesem Crash davongetragen. Doch weil der Tank des Lkw-Anhängers beim Umkippen leckschlug und sich deswegen einige tausend Liter Diesel in den erwähnten Acker ergossen, ist mein Großvater mit diesem Missgeschick wie gesagt doch noch in die Zeitung gelangt: „Fahrradfahrer verursacht 500.000 Euro Schaden“, war der Artikel überschrieben, und so ist es wirklich ein Segen, dass mein Großvater all die Jahrzehnte Beiträge für eine Haftpflichtversicherung zahlte, obwohl er sie niemals brauchte – weil er ein so unspektakuläres Leben führte, dass er nicht einmal beim Fünftelpfennigskat im „Goldenen Löwen“ je versehentlich ein Bierglas umgestoßen und dadurch einem seiner Mitspieler das beige Beinkleid ruiniert hätte.

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