Wissentlich ans Messer geliefert

Im Fall des britischen Wissenschaftlers David Kelly gibt es neue Anhaltspunkte dafür, dass die Enttarnung des Informanten mit Wissen von Premier Tony Blair geschah. Heute muss Blairs Kommunikationschef vor dem Untersuchungsausschuss aussagen

aus Dublin RALF SOTSCHECK

Die Entscheidung, den britischen Wissenschaftler David Kelly als Quelle für einen kritischen BBC-Bericht über ein Irak-Dossier der Regierung bloßzustellen, ist offenbar von höchster Stelle getroffen worden. Tony Blairs Presseprecher Tom Kelly und Godric Smith haben mit Beamten des Verteidigungsministeriums am 8. Juli eine Presseerklärung entworfen, in der Kelly nicht namentlich genannt, seine Funktion jedoch so detailliert beschrieben wurde, dass es kaum Zweifel an seiner Identität gab.

Das sagte Pam Teare, Chefin des Pressebüros im Verteidigungsministerium, gestern vor dem Untersuchungsausschuss, der Licht in den Fall Kelly bringen soll. Der Stabschef von Premier Tony Blair, Jonathan Powell, erklärte gestern, Blair sei zwar über den Sachverhalt informiert gewesen, habe aber deutlich gemacht, dass das Verteidigungsministerium in dieser Angelegenheit zuständig sei.

Der Wissenschaftler wurde Mitte Juli in der Nähe seines Hauses in Oxfordshire mit einer aufgeschnittenen Pulsader tot aufgefunden, nachdem er vor einem Parlamentsausschuss fast wie ein Landesverräter behandelt worden war.

Im BBC-Radiobericht des Reporters Andrew Gilligan vom Mai ging es vor allem um eine Behauptung im Regierungsdossier, wonach der Irak seine Massenvernichtungswaffen binnen 45 Minuten aktivieren könne. Kelly habe laut Gilligan erklärt, dass es nur eine Quelle für diese Information gab und sie nicht zuverlässig war. Sie sei auf Druck von Tony Blairs Kommunikationschef Campbell nicht aus dem Dossier entfernt worden.

Pam Teare sagte, ihr Ministerium, in dessen Diensten Kelly stand, habe keinerlei Vorwarnung über den BBC-Bericht bekommen. Merkwürdigerweise hat das Außenministerium jedoch über Kellys Kontakt mit Gilligan Bescheid gewusst, bevor der BBC-Bericht gesendet wurde. Kelly hatte einen hochrangigen Beamten darüber informiert. Deshalb hatte Kevin Tebbit, Staatssekretär im Verteidigungsministerium, später empfohlen, Kelly nicht vor den parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu laden. Er sagte damals zu Verteidigungsminister Geoff Hoon: „Der Mann ist freiwillig mit der Geschichte herausgerückt. Er steht nicht unter Anklage.“ Hoon habe jedoch darauf bestanden, Kelly vorzuladen, weil er hoffte, der Wissenschaftler würde Teile der Aussagen, die Gilligan vor dem Ausschuss gemacht hatte, widerlegen können.

Offenbar rechnet Hoon nicht mehr damit, ungeschoren davonzukommen. Der Sunday Telegraph berichtete am Sonntag, der Verteidigungsminister habe gegenüber Freunden geäußert, dass er erwarte, seinen Job zu verlieren. Auch Alastair Campbell muss um seinen Posten bangen. Neben Gilligan bestätigten zwei weitere BBC-Reporter, dass Campbell laut Aussage Kellys dafür verantwortlich war, das Irak-Dossier vom vorigen September „sexier“ zu machen. Darüber muss Campbell heute vor dem Ausschuss des Lordoberrichters Rede und Antwort stehen.