ORTSTERMIN: KARL LAGERFELD BESUCHT DIE HAMBURGER SOPHIENTERRASSEN
: Erscheinung in Hamburg-Harvestehude

Der Messias ist immer noch nicht da. Es ist schon 11.35 Uhr, und er ist immer noch nicht da. Vorhin hatten sie ihn am Telefon, da hat er sie angepöbelt. Man sei ja schließlich nicht mehr in der Schule, wo man immer pünktlich kommen müsse. Aber es hilft nichts, sie müssen jetzt anfangen: Die Eröffnung des ersten Gebäudes der Sophienterrassen, Hamburgs neuestem Edelquartier an der Alster, ist die perfekte Inszenierung. Ein roter Teppich leitet die Gäste ins Veranstaltungszelt. Ein weißes Leuchten schießt ihnen im Eingangsbereich entgegen. Es ist das Leuchten des Wohlstands, des unbekümmerten Lebens. Im Zelt löst sich dieses Leuchten dann in Details auf. Weiße Ledersofa in den Ecken, weiße Villen auf großen Wandbildern und weiß gekleidete Menschen, die mit Sektgläsern in den Händen durch den Raum schweben. Alles ist vollkommen – bloß der Messias fehlt.

Also fangen sie ohne ihn an. Sie sitzen vor ihren Namensschildchen. Die Musik ertönt. Der Film wird hinter ihren Köpfen auf die Leinwand projiziert. Zeit für sie, die Köpfe zu heben und visionär in die Ferne zu starren. Der Film, mit dem die Macher der Sophienterrassen ihr Konzept für den neuen Stadtteil vorstellen, ist an Pathos kaum zu übertreffen. Der Ort, an dem die Siedlung entstehen soll, wird als ein Ort beschrieben, „an dem es nur wenigen Dynastien vorbehalten blieb, ihr Anwesen zu unterhalten“, woran sich auch durch die Neubebauung nichts ändern solle. Es ist von Parkvillen und herrschaftlichen Stadtschlössern die Rede, in denen sich Natur mit „gepflegter Urbanität“ verbinden solle. Der Film schließt mit den unglaublichen Worten: „Am Alsterufer und doch nicht von dieser Welt.“

Auch nicht von dieser Welt ist der Klocontainer, den die Veranstalter ihren Gästen zur Verfügung gestellt haben. An der Außenwand der Toilette ist ein Monitor eingelassen, der Naturbilder zeigt: ein kleiner Bach, ein nebliger Wald, eine Morgendämmerung. Innen ein mit Stuck und römischen Säulen verzierte Vorraum, der zum parfümierten Pissoir führt. Tritt man vor das Waschbecken, um sich unter dem künstlichen Bach die Hände zu waschen, ertönt die Titelmusik von „Beverly Hills Cop“.

Der Film ist vorbei, und der Messias ist immer noch nicht da. Deshalb strecken die Redner ihre Vorträge bis ins Unerträgliche. Sie erzählen, wie sie mit dem Public-Private-Partnership (PPP)-Projekt die örtliche Schule zufrieden gestellt haben. Oder wie sie bei den Bewohnern Harvestehudes mit dem Versprechen, den „weißen Charakter“ des Stadtteils beizubehalten, Zustimmung für das Unternehmen erwirkten. Auch nach dem dritten Redner bleibt der Stuhl in der Mitte frei. Es ist mittlerweile nach zwölf. Außerplanmäßig wird der Banker des Projekts zu Wort gebeten. Dieser redet von der Finanzkrise, dem Einbrechen des Immobilienmarktes und dem Wunder, dass einzig für den Bereich der Highend-Immobilien noch Investoren gefunden würden, als plötzlich ein Schrei ertönt. „Da ist er!“, ruft einer der anwesenden Fotografen.

Sofort stürzen sich die Anwesenden auf die soeben aus dem Eingangsbereich einrückende Erscheinung – eine fast religiöse Panik bricht aus. Mühsam kämpft sich Karl Lagerfeld zum Rednerpult durch. Er wird den Gläubigen erzählen, warum er aufgehört hat, Häuser zu sammeln. Er wird ihnen erzählen, warum er sich entschieden hat, das Innendesign der Sophienterrassen zu gestalten. Er wird Sätze sagen, wie: „Ich denke sowieso immer nur an mich, deshalb werde ich die Räume so einrichten, als ob ich vorhätte, darin zu wohnen.“ Aber all das ist nebensächlich.

Was zählt, ist seine Erscheinung. Schneeweiß gepuderte Haare, schwarzer Anzug, schwarze Handschuhe mit Nieten und die schwarze Sonnenbrille. Am Alsterufer und doch nicht von dieser Welt. JOHANN TISCHEWSKI