US-Geheimdienstreform nicht prioritär

George W. Bush reagiert auf den Bericht der Kommission zu den Terroranschlägen vom 11. September wortkarg und schweigt zur Reform der Geheimdienste. Herausforderer Kerry verspricht Reformen, doch sind die nur mühsam durchzusetzen

AUS WASHINGTON MICHAEL STRECK

Als der Vorsitzende der „9/11“-Kommission, Thomas Kean, am Donnerstagmorgen Präsident George W. Bush den Abschlussbericht der zweijährigen Mammutuntersuchung zu den Terroranschlägen überreichte, reagierte dieser wortkarg. Bush sprach lediglich von „soliden Empfehlungen“ und fügte nebulös hinzu: „Wo die Regierung handeln muss, wird sie es tun.“

Später, nachdem verschiedene Kommentatoren sich über seine unterkühlte Reaktion wunderten, begrüßte er am Abend ausdrücklich die Arbeit des Gremiums. „Wir werden jede Anregung ernsthaft prüfen, denn wir haben ein gemeinsames Ziel: alles in unserer Macht Stehende zu tun, um uns auf ein Attentat vorzubereiten und es zu verhindern.“ Zu der von der Kommission geforderten tiefgreifenden Reform der Nachrichtendienste äußerte sich Bush zur Enttäuschung vieler jedoch nicht.

Sein Herausforderer John Kerry würdigte den Einsatz der Kommission hingegen umgehend. Er kündigte an, bei einem Wahlsieg entschieden auf eine Verwirklichung der Reformen hinzuwirken, sollten bis dahin nicht genügend Fortschritte erzielt worden seien. Wiederholt appellierte er an die politische Eintracht. Parteienstreit sei fehl am Platz, wenn es um die Sicherheit des Landes gehe.

Die Aufrufe zur Einigkeit werden jedoch spätestens nächste Woche beim Parteitag der Demokraten vergessen sein. Dennoch müssen beide Seiten vorsichtig mit Schuldzuweisungen sein. Zu schnell können sie sich beim Wähler unbeliebt machen, der angesichts der umfassenden Kritik der Kommission und der Warnung vor weiteren Anschlägen nunmehr rasch praktische Schritte erwartet.

Der Report bietet jedoch beiden die Möglichkeit, ihn in ihrem Sinne zu interpretieren. „Er unterstreicht eindrucksvoll, dass die Terrorbedrohung weiterhin existiert“, sagt Andrew Kohut vom unabhängigen „Pew Research Center“. Bush könne sich weiter mit der Aura des Kriegspräsidenten umgeben und den Wähler versuchen davon zu überzeugen, dass man in unsicheren Zeiten besser nicht die Regierung wechsle. Kerry hingegen werde argumentieren, dass des Präsidenten ständige Behauptung, seine Politik habe Amerika sicherer gemacht, nicht zutrifft.

Was die angemahnten umfangreichen Umstrukturierungen anbetrifft, äußern sich Beobachter vorerst skeptisch. Das Pentagon wird seine mächtige Position innerhalb der Nachrichtendienste nur schwer aufgeben. Der Minister für Heimatschutz hat bereits seine Vorbehalte gegen einen Geheimdienstdirektor mit Kabinettsrang angemeldet.

Und ob die Legislative in der Lage sein wird, sich selbst zügig zu reformieren, darf ebenso bezweifelt werden. Mehr als 80 unterschiedliche Ausschüsse im Kongress befassen sich mit Sicherheitsfragen. Deren Arbeit zu bündeln und besser zu koordinieren gilt als Herkulesaufgabe. Nur ungern geben die Parlamentarier ihren Einflussbereich auf. Zudem verhindert ein simpler Grund schnelles Handeln: Kommende Woche verreisen die Abgeordneten bis September in die Ferien. Danach dreht sich alles nur noch um den Wahlkampf.

Ob die Öffentlichkeit, die vor zwei Jahren die Untersuchungskommission einforderte, diesmal die Umsetzung ihrer Empfehlungen verlangen wird, ist fraglich. Die Bevölkerung scheint sich trotz permanenter Schlagzeilen immer weniger um das Thema Terrorismus zu kümmern. Nach jüngsten Umfragen der Organisation „Council for Exellence in Gouvernment“ glauben nur noch 34 Prozent der Amerikaner an einen „schweren Anschlag“, verglichen mit 55 Prozent vor zwei Jahren. Direktorin Patricia McGinnis hat für diese Reaktion nur zwei Erklärungen: „Die Menschen sind entweder unehrlich oder verweigern sich der Realität.“

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