Wie komme ich hier rein?

Berliner Autoren fuhren ins Umland, um aus Texten über die Provinz zu lesen: das Literaturfest „Jott-weh.de“ in Beelitz

Mit der Provinz ist es ja so eine Sache. Wächst man in ihr auf, will man spätestens mit Eintritt in das Pubertätszeitalter von ihr weg. Ist man dann irgendwann in der Metropole gelandet, entdeckt man meistens nach ein paar Jahren, dass man ihr nicht entfliehen kann. Oder wie es der Schriftsteller Jens Sparschuh ausdrückte: „Die Provinz hat jeder in sich, die kann man auch in Prenzlauer Berg pflegen.“

Kann man das wirklich? Ist die Provinz also überall? Um diese Fragen, genauer, um die Entdeckung der Provinz, ging es beim Literaturfest „Jott-weh.de: Sommerfrische Literatur“ am Samstag auf dem Gelände der Beelitz-Heilstätten.

Die Sonne schien, es gab Musik, Kuchen, Pizza und ziemlich viele Wespen, die sich offenbar von den Besuchern aus Berlin gestört fühlten. Und die Schriftsteller Annett Gröschner, Norbert Kron, Kolja Mensing, Jens Sparschuh und Michael Angele lasen aus ihren Texten, in denen es um Provinz im weitesten Sinne ging.

Zur Einstimmung gab es zunächst ein paar Reiseberichte junger Journalisten aus Hildesheim, die im Mai vom Alexanderplatz nach Beelitz gewandert waren – jeweils allein und zu Fuß. Drei Tage dauert das, während man mit dem Zug knapp 45 Minuten braucht.

In den Texten ging es dann vor allem um das Erlebnis des langsamen Verschwindens der Stadt und das Auftauchen der Provinz, beziehungsweise das, was man dafür hält. Denn die Anlage der Beelitz-Heilstätten – 1890 als Lungenheilstätte für das tuberkulosekranke Industrieproletariat Berlins erbaut und ab 1945 als sowjetisches Militärhospital genutzt – ist alles, nur nicht Provinz.

Der Ort erinnert mit seinen leer stehenden und von Pflanzen überwucherten Sanatoriumsanlagen ein bisschen an Tarkowskis Film „Stalker“, und so nutzten die meisten Besucher zwischen den Lesungen die Gelegenheit, sich auf dem Gelände ein wenig umzusehen. Im teilweise restaurierten Heizkraftwerk konnte man die Licht-Installationen „Pulsare“ der Berliner Künstlergruppe Optikproviant besichtigen, die ihre Arbeiten vor dem Hintergrund der von der Zeit verwitterten Räume zeigten. Ging man ein bisschen weiter im Gelände spazieren, konnte man sogar Sachen wie einen in Stein gehauen sowjetischen Soldaten entdecken, der in einer aus Bäumen und Büschen aufgestellten Sichtachse platziert ist.

Von Provinz also keine Spur. Vielleicht wäre es also konsequenter gewesen, die Veranstaltung wirklich in jenen ländlichen Neubaugebieten, in denen geistig wie architektonisch die pure Sachlichkeit und Zweckmäßigkeit herrscht, zu veranstalten, wie sie beispielsweise taz-Autor Kolja Mensing in seinem Buch: „Wie komme ich hier heraus?“ beschrieb.

Aber auch ohne dass es wirklich zu einer Konfrontation von Provinz und Großstadt kam – schließlich kamen Schriftsteller wie Besucher alle aus Berlin – funktionierten die vorgelesenen Texte zu der etwas morbiden Atmosphäre der Beelitz-Heilstätten. Denn eigentlich ist es ja genau der Mangel jener geheimnisvollen Orte, die der Provinzler in der Stadt und der Städter in der Provinz vermutet.

So konnten alle zum Schluss beruhigt die Rückreise in die Metropole antreten. SANDRA LÖHR

Noch bis zum 1. August zu sehen: „pulsare 1/2/3“ im Heizkraftwerk in Beelitz-Heilstätten, Straße nach Fichtenwalde/ A9/ RE 3, Heizwerk Süd, jeweils Sa.–So. 12–18 Uhr