piwik no script img

Wimbledon blieb ein Traum

Thomas Emmrich, einst überragender Tennisspieler der DDR, trauert nur ein bisschen den verpassten Chancen nach. Der 50-Jährige sammelt Seniorentitel und betreut bei Magdeburg ein Jugendprojekt

von JUTTA HEESS

Benni holt aus und schlägt den Ball übers Netz. „Aus“, schreit Christian. Seit ein paar Wochen spielen die Zwölfjährigen Tennis. „Am Anfang war es so schwer, ich habe den Ball gar nicht rübergekriegt“, erinnert sich Benni. Jetzt klappt es schon viel besser, vor allem die Vorhand.

Tennis ist ein teurer Sport. Schläger, Bälle, Miete für einen Platz und Clubbeiträge – viele Eltern können sich das nicht leisten. Ganz besonders nicht in Schönebeck, in der Nähe von Magdeburg. Doch die Kinder bekommen hier – in der sozial schwächsten Region von Sachsen-Anhalt – seit einigen Monaten ein besonders günstiges Angebot. Das Sozialprojekt „Mach mit! – Kinder weg von der Straße“ bietet dem Schönebecker Nachwuchs das volle Sportprogramm. Der Initiator Thomas Emmrich, Betreiber des Sportcenters in der Kleinstadt, zählt auf: „Tennis, Badminton, Squash, Tischtennis, Beachvolleyball, Basketball und Fußball.“ Pro Kind und Trainingseinheit wird lediglich ein Euro verlangt. Mittlerweile nehmen etwa 80 Kinder und Jugendliche von 6 bis 18 Jahren an dem Projekt teil.

Zur Finanzierung dieser groß angelegten Aktion können Thomas Emmrich und sein Team auf 13.000 Euro Fördergeld vom Land sowie auf Sponsorenzuschüsse zurückgreifen. Und eigentlich wollte auch Boris Becker das Projekt unterstützen – jedenfalls mit seiner Anwesenheit beim Startschuss. Doch der Tennis-Star sagte kurzfristig ab. Das habe der Begeisterung keinen Abbruch getan, meint Thomas Emmrich. Die Resonanz sei überwältigend. Der Tennistrainer hat aber auch einen dezenten Hintergedanken: „Warum sollte hierbei nicht eines Tages ein Tennistalent gesichtet werden?“

Angelegt ist „Mach Mit!“ erst einmal auf 12 Monate. Dann sind neue finanzielle Zuschüsse nötig, schließlich muss Emmrich Betreuer und Trainer bezahlen sowie Sportmaterial zur Verfügung stellen. Nicht jedes Kind hat geeignete Turnschuhe, geschweige denn einen Tennisschläger. Und für manche ist der eine Euro schon zu viel. Thomas Emmrich selbst würde die Aktion gerne fortführen: „Wir können unseren kleinen Teil hier beisteuern, um gerade in einer so sozial schwachen Region einiges zu bewirken, das ist unser Ziel, unsere Aufgabe, und das macht uns Spaß.“

Der 50-Jährige lächelt und wirkt sehr zufrieden. Dabei hätte er allen Grund, zumindest etwas verbittert zu sein. Denn eigentlich hätte er selbst ganz groß rauskommen können. Zu einer Zeit, als Athleten wie Björn Borg, Guillermo Vilas und Ilie Nastase die Weltspitze anführten, war Emmrich ein exzellenter Tennisspieler. Er konnte aber nicht mitmischen in Wimbledon und Roland Garros, aus politischen Gründen. Emmrich lebte in der DDR und durfte keine internationalen Turniere im Westen bestreiten. „Das war mir nicht vergönnt“, bedauert er heute, dass er sich kaum mit den Besten seiner Sportart messen konnte. Tennis galt als elitär, war damals nicht olympisch und wurde deshalb auch nicht gefördert. „Ich habe nur im Osten gespielt und viele gute Erfolge errungen, nur, es hat keinen interessiert.“ Weil Emmrich nicht da antreten konnte, wo es die meisten Punkte für die Weltrangliste gab, brachte er, der im eigenen Land 16 Jahre lang ungeschlagen blieb, es nur bis zur Nummer 555.

Es blieb ihm nichts anderes übrig, als 17 Mal in Folge DDR-Meister im Einzel zu werden und an Turnieren in den sozialistischen Ländern teilzunehmen. Dabei hätte er gute Chancen gehabt, ein Großer zu werden: Er schlug einmal den polnischen Weltklassemann Wojtek Fibak 6:0, 6:0. Gegen den Tschechen Ivan Lendl, der acht Grand-Slam-Titel gewann, spielte er zwei Mal – ein Sieg, eine Niederlage. Und Martina Navratilova, langjährige Nummer eins im Damen-Tennis, sagte einst, Emmrich wäre unter die Top 20 der Welt gekommen. Erfolge feiert der 50-Jährige auch heute noch, vor rund einem Monat wurde er wieder überlegen deutscher Meister der Senioren. Übellaunig ist das verhinderte Tennis-Ass nicht, wenn er von früher erzählt, im Gegenteil: „Es war eine schöne Zeit“, erinnert er sich. Und besser als dem unsportlichen DDR-Bürger ging es ihm allemal, auch wenn er seine Preisgelder meistens komplett an den Staat abgeben musste. „Außerdem habe ich immer gehofft, dass sich doch noch etwas ändert und ich im Westen an den Start gehen darf.“

Seine Begeisterung für den Sport gibt Emmrich heute als Trainer an andere weiter. Vor allem an Kinder. Und ganz besonders an seine eigenen. Hoffnungen, die bei ihm unerfüllt blieben, setzt er heute in seinen 18-jährigen Sohn Martin. Der ist bereits Tennis-Profi und steht auf dem 68. Platz der deutschen Rangliste. Vielleicht kann er dafür sorgen, dass der Wunsch seines Vaters doch noch in Erfüllung geht. Und ein Spieler namens Emmrich in der Weltspitze mitspielt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen