„Global gesehen einfach zu klein“

Heute beginnt in Leipzig die „Games Convention“, die Publikums- und Fachmesse für interaktive Spiele: Der Entwicker Teut Weidemann empfielt den Deutschen, sich Marktnischen für die nächste Generation von Spielkonsolen zu suchen

Interview KONRAD LISCHKA

taz: Was hat Leipzig mit Los Angeles gemeinsam?

Teut Weidemann: Wenig. Dort machen im Mai auf der E3 die Publisher Deals fürs US-Weihnachtsgeschäft mit dem Großhandel und machen Marketing.

Und in Leipzig …

… sind vor allem Privatbesucher. Bisher wurden die Weihnachts-Geschäfte für Europa auf der ECTS Ende August in London gemacht. Doch langsam ändert sich das. Leipzig gewinnt da an Bedeutung.

Auch für Entwickler?

Auf der E3 haben Entwickler überhaupt nichts mehr zu suchen, das wird nun auf der Games Developer Conference in San José gemacht.

Im Vorfeld der Leipziger Messe gab es eine Veranstaltung für deutsche Entwickler. Passen die inzwischen nicht alle in ein Wohnzimmer?

Es stimmt schon, im vorigen Jahr sind in Deutschland fast 80 Prozent aller Teams gestorben, aber das heißt ja nicht, dass alle weg sind. Ich fange jetzt kein Krisengeheul an. Das war eine ganz normale Entwicklung. Und im Moment sitzen immer noch etwas mehr als zehn deutsche Teams an High-End-Spielen.

Dennoch wurden weltweit nicht weniger Spiele gekauft, sondern eher mehr.

Die Nachfrage geht zunächst von den Verlagen, den Publishern, aus. Und die ist in Deutschland in den vergangenen Jahren unnormal stark gestiegen. Deswegen gab es dann auch 20 und mehr Studios. Inzwischen haben wir wieder den alten Stand. Und der ist noch immer viel besser als Anfang der Neunzigerjahre. Da gab es in Deutschland sehr wenige große Entwickler: Blue Byte in Mülheim und einige wenige andere. Dann haben die hohen Umsätze mit Titeln für die Playstation 1 die Investoren gelockt. Das fing in den Vereinigten Staaten 1998 an. Dort stiegen die großen Spielefirmen wie Mattel und Hasbro ein. In Deutschland kamen dann Ravensburger, CDV, Jowood und Phenomedia. 2000 mussten in den USA Mattel und Hasbro das Geschäft wieder aufgeben. Denn sie waren zu spät dran, um Erfolg zu haben. Wenn man die Zeit für die Entscheidung für konkrete Titel und deren Entwicklung betrachtet, sind die Spiele ein bis zwei Jahre nach den hohen Umsätzen und dem Einstieg ins Videospielgeschäft fertig. Nur kommt dann schon die neue Konsolengeneration – die letzte Übergangsperiode lag zwischen 2000 und 2001. Im Jahr 200 kam in den Staaten das große Entwicklersterben, ein Jahr später waren gut 40 Studios in England dran, und mit noch etwas Verzögerung ist das dann auch hier bei uns passiert.

Die große Entwicklerpleite …

… ist ein ganz klares Ergebnis der falschen Strategien der jungen Publisher und Investoren. Schade, dass die Entwickler dran glauben müssen, weil junge, unerfahrene Publisher mit Verzögerung machen, was die erfahrenen längst gemacht haben.

Und Deutschland folgt auch hier den USA?

So würde ich das nicht sagen. Zum einen haben deutsche Publisher eine andere Tradition als die Riesen aus Frankreich und den USA. Die meisten hierzulande kommen aus dem Vertrieb. Sie haben zuerst US-Spiele hier vertrieben und sind dann in die Entwicklung eingestiegen. Da denkt man oft noch in Kategorien wie: „Ich gebe so und so viel für ein Projekt aus und bekomme so und so viel zurück.“ Dazwischen passiert aber bei den Amerikanern und Franzosen noch einiges: Die arbeiten sehr intensiv am Produkt der Entwickler mit und bringen ihr Wissen über den Markt und die allgemeine Entwicklung ein. Und zum anderen haben sie einfach all diese Erfahrung voraus. Sie setzten nicht auf falsche Plattformen, falsche Ideen oder falsche Teams. Und sie wissen, was zu welchem Preis möglich ist. Spielproduktion ist ein magisches Dreieck mit den Faktoren Geld, Zeit und Qualität. Optimieren kann man davon immer nur zwei. Also: Entweder längere Zeit zu moderaten Kosten entwickeln und dann hohe Qualität liefern. Oder schnell und fristgerecht gute Spiele liefern und viel Geld bezahlen. Aber in Deutschland gilt dieses Modell nichts, hier stimmen weder Zeit noch Kosten noch Qualität. Ein Entwickler kann erst seinen dritten Titel so richtig gut machen. Nur verliert leider eigentlich jeder deutsche Entwickler seinen Publisher, wenn er gerade an seinem dritten Titel sitzt. Dieses Chaos verhindert jede Kontinuität. Und dieses Chaos ist da, weil den deutschen Publishern das Geld leider nur selten reicht, um die Fehler finanziell durchzuhalten.

Dieses Geld haben die großen Verlage in den Vereinigten Staaten und Frankreich?

Ja. Die haben in den letzten Jahren auch das Geld verdient, um im immer größer werdenden Geschäft mitzuhalten. Sony gibt für die nächste Playstation-Generation derzeit nur Entwicklern Lizenzen, die mehr als 100 Leute an ein Projekt setzen. Welcher Publisher kann so etwas finanzieren? Klar: Electronic Arts, Activision und die anderen großen. Die haben über Jahre mit höheren Budgets die Erwartungshaltung gesteigert. Als ich Ende der Achtziger Entwicklungschef bei Rainbow Arts war, haben die Titel zwischen 13.000 und 200.000 Euro gekostet. Die Entwicklung von „Panzer Elite“ hat Mitte der Neunziger 1,1 Millionen Euro gekostet. „Söldner“ wird mehr als 2 Millionen Euro kosten. Und Electronic Arts hat Budgets von 5 bis 12 Millionen Dollar. Aber deren Geschäftsprinzip geht auf: Im vergangenen Jahr haben sie von gut 22 Titeln je über eine Million Exemplare verkauft.

Immer weniger Verlage machen immer größere Geschäfte?

Na klar. 1996 hatte ich auf der E3 für die Präsentation von „Panzer Elite“ Termine bei 32 Publishern. 32 verschiedene! Heute wären das vielleicht 10.

Und die Folgen?

Dass zum Beispiel Electronic Arts 100 Millionen Dollar für eine Harry-Potter-Lizenz ausgeben kann. Das lohnt sich, weil man erstmals auf dieser Konsolengeneration denselben Titel für alle vier Plattformen entwickeln kann.

Was können deutsche Verlage tun?

Also das Optimum wäre, wenn sie sich jetzt auf die Konsolen der nächsten Generation stürzten, und Nischenmärkte besetzten, die die Großen nicht wollen oder die global gesehen einfach zu klein sind, aber für Deutsche groß genug. Da ist zum Beispiel immer noch Mobile Gaming. Da haben wir in Europa einen Startvorteil, weil viele der Mobiltelefonhersteller hier sitzen.

Sie entwickeln aber derzeit mit „Söldner“ einen Taktik-Shooter für den PC.

Für deutsche Entwickler sieht es ja etwas anders aus. Die sollten sich vor allem an Ideen setzen, die sich international verkaufen lassen. Und dann muss man schon bei der ersten Skizze Erkenntnisse aus der weltweiten Marktforschung einfließen lassen. Wings macht deswegen nur CNN-kompatible Spiele. Und militärische Spiele sind ein Massenmarkt, nicht nur in den USA.

Was ist dort so viel anders?

Mein Lieblingsbeispiel ist der große Erfolg von Siedler in Deutschland und der Misserfolg in den Staaten: Fantasy und Science-Fiction gelten da als ernsthafte Literatur, das kann man nicht verniedlichen. Also müssten die US-Siedler weniger knuddelig sein, wenn es geht, historisch. Amerikaner lesen Handbücher, also hätte das dreimal so dick sein müssen mit Tutorial, Index, Glossar und so weiter. Und: Amerikanische Spieler haben weniger Spiel-Know-how als deutsche. Also wäre eine besser erklärte und weniger komplexe Bedienung und ein einfacherer Wirtschaftskreislauf hilfreich gewesen.

So muss also der Mainstream aussehen?

Man kann Entwicklungskosten immer weniger national reinspielen. Die Verkaufszahlen steigen langsamer als die Entwicklungsbudgets, und die Spiele werden ja nicht teurer. Ich habe mir vor Jahren die deutsche Version von Ultima für 99 Mark gekauft. Heute kosten PC-Spiele immer noch 50 Euro. Wie finanziell erfolgreich ist da wohl ein deutsches High-End-Spiel wie „Wiggles“ mit fickenden, kiffenden Zwergen?

lischka@gmxpro.de