Harmonie gibt‘s, bis die Cola alle ist

Vom Sofa-Spaß zum Polizeichef: Das Junge Theater Bremen zeigt Fausto Paravidinos Globalisierungs-Drama „Peanuts“ in der Bremer Schwankhalle

Rotes Sofa, grüner Teppich und ein imaginärer Großbildfernseher – mehr Requisiten braucht die Inszenierung von Fausto Paravidinos Stück „Peanuts“ durch das Junge Theater Bremen nicht. Denn – „Zing!“, „Flatsch!“, „Katschong!“ – der Schlagzeuger im Hintergrund liefert eine deutliche Geräuschkulisse. Er sorgt auch dafür, dass es ordentlich kracht, als auf dem grünen Teppichboden Kippen und Erdnussflips zerdrückt, auf das rote Sofa gekotzt und der imaginäre Fernseher eingeschlagen wird.

Was als poppig-bunter Comicstrip mit Slapstick-Einlagen beginnt, entpuppt sich aber als wütendes Theaterstück über Aggression, Feigheit und das wahre Leben im falschen System. In „Peanuts“ verarbeitet der italienische Jungdramatiker Paravidino den blutigen Zusammenstoß zwischen Carabinieri und Globalisierungsgegnern beim G8-Gipfel in Genua. Er wollte seine Entrüstung über das brutale Vorgehen der Polizisten global verständlich formulieren. Darum griff er bei der Umsetzung auf die weltweit bekannten „Peanuts“ zurück. Wie deren Erfinder Charles M. Schulz überträgt Paravidino komplexe gesellschaftliche und politische Probleme auf den Mikrokosmos Kinderzimmer. Seine Peanuts sind jedoch zeitgemäß egoistische, hyperaktive Kids der Spaßgesellschaft.

Der anständige Buddy (Roberto Guerra) soll auf die Luxuswohnung eines verreisten Ehepaares aufpassen – doch dann trudelt seine Clique ein: Zuerst die selbstbewusste Cindy (Julia Hamer), dann der schmuddelige Piggy (Marin Leßmann), Manga-Freak Minus (Ercan Altun), die hysterische Silly (Isabel Arlt), die strenge Magda (Friederike Solak), Techno-Kid Snappy (Denis Fischer) und der altkluge Woodschlock (Hendrik Pape). Sie fläzen sich vor den Fernseher und kümmern sich einen Dreck um Buddys flehentliche Bitte, die Couchgarnitur nicht zu ruinieren. Buddy verzweifelt: Seine Gäste zeigen kein bisschen Mitgefühl oder Verantwortungsbewusstsein – die Harmonie währt nur so lang, bis die Cola alle ist. Die Einkaufsliste scheitert am Drang nach individualistischer Selbstentfaltung.Und dann zerstört Minus in seiner blinden Wut auch noch den superteuren Fernseher.

Als Schkreker, der Sohn der Hausherren (Arne Seidler spielt den widerlichen Streber im Harry-Potter-Kostüm) überraschend ins Chaos zurückkehrt, verleugnet Buddy seine Freunde und wirft sie auf Schkrekers Befehl hinaus. Wer könnte ihm daraus einen Vorwurf machen?

Doch diese Entscheidung stellt Weichen für kommende Ereignisse und führt zehn Jahre später zur Tragödie: Die Peanuts treffen noch einmal zusammen – als Täter und Opfer im Genua des G8-Gipfels. Schkreker ist ein sadistischer Polizeichef geworden und lässt Minus, Silly und andere Demonstranten verhören und foltern. Buddy ist sein ergebenster Helfer. Statt Solidarität mit seinesgleichen zu zeigen, erledigt er feige seine Pflicht und hilft, einen Mord zu vertuschen.

Am Ende steht die Frage: Was wäre, wenn Buddy zu seinen Freunden und sie zu ihm gehalten hätten? Der Autor scheut sich nicht, moralisch Stellung zu beziehen und den Opportunismus der Hauptfigur zu verurteilen. Dem harten Schluss setzt er in der letzten Szene eine kindliche Utopie von echter Solidarität entgegen: Alle „Peanuts“ erscheinen wieder auf der Bühne, als könnte das Spiel noch einmal von vorne beginnen. Sie umarmen sich, an der Decke tanzen Lichtfunken. Ein unerfüllbarer Traum? Vielleicht. „Aber“, wie Buddy am Ende augenzwinkernd sagt: „Ich denke gerne darüber nach“. Sibylle Schmidt

weitere Aufführungen: 29. bis 31.7. und 22. bis 26.9., jeweils um 20.30 Uhr in der Schwankhalle