Vom Laufsteg statt selbst gestrickt

Ökologisch korrekte Textilien sind in der Haute Couture angekommen. Dabei gilt ganz besonders: Kunden, die „Öko“ wünschen, wollen auch „Fair“ haben. Auf den Preis gucken die betuchten Käufer nicht so genau, wenn die Qualität stimmt

VON MIRKO HEINEMANN

Bonn, Mitte der 1980er-Jahre. Eine Bundestagssitzung. Am Podium steht ein Abgeordneter und hält eine Rede. Einige Zuhörer gähnen, andere scheinen zu schlafen. Nur ganz links im Auditorium sind Abgeordnete in eine regierungsferne Tätigkeit vertieft: Sie stricken Wollpullover, Socken und Mützen für die Wohngemeinschaft. Hier, in der Fraktion der Grünen, sitzen die Pioniere der „Green Fashion“, der ökologisch korrekten Mode.

Wer heute seinen Ökoanspruch demonstrieren möchte, braucht das nicht mehr mit sackartigen, selbst gestrickten Pullis zu tun. Die Ökos von heute sind wählerisch, ihr Modebewusstsein hat sich geschärft. Sie wollen Kleidung, die nicht nur aus biologisch angebauter Baumwolle und ohne chemische Zusatzstoffe hergestellt, sondern auch schick ist.

Luxus darf auch kosten

Marketingstrategen haben die Zielgruppe der „Lohas“ erfunden, Konsumenten, die einen „Lifestyle of Health and Sustainability“ pflegen. Diese modernen Ökos haben bisher beim Einkauf gesunde Lebensmittel und fair gehandelte Produkte bevorzugt, die ohne Ausbeutung der Arbeiter hergestellt wurden. Jetzt erweitern sie ihren Bioanspruch sukzessive auf alle anderen Produkte, zuvorderst die Kleidung. Dass dieser Anspruch einen höheren Preis zur Folge hat, ist für die Lohas kein Problem. Sie stellen eine zahlungskräftige Klientel dar, die bereit ist, für ihre Ansprüche auch mehr Geld auszugeben. Eine Entwicklung, der auch die neu eingerichtete „Textil-Area“ der Messe BioFach Rechnung trägt. Hier präsentieren erstmals über 40 Aussteller von Öko-Fashion und Naturtextil ihre Kreationen.

Die Ansprüche der „Lohas“ sind eindeutig: Sie wollen „öko“, aber auch auf der Höhe der Zeit sein. Oder sogar Haute Couture. Bereits einige hochpreisige Modelabels stellen sich diesen Anforderungen, so die dänische Nobelmarke Noir. Gründer und Designer Peter Ingwersen, ehemaliger Global Brand Director von Levi’s, lässt seine Stoffkollektion „Illuminati II“ in Afrika zu fairen Bedingungen produzieren. Dann wieder gibt es das Label „Edun“, das der U2-Sänger Bono zusammen mit seiner Frau Ali Hewson und dem Designer Rogan Gregory gegründet hat. Die Kollektion wird aus organischen Stoffen geschneidert. Produziert werden die Stücke in Afrika zu garantiert fairen Preisen.

Ökologisch korrekte Textilmarken heißen „Avalon“, „Maas-Natur“ oder „True Fashion“. Einer der größten Textilversandhändler in Deutschland ist Hess Natur, der laut eigener Aussage zu 98 Prozent Biomaterialien verarbeitet. Doch auch die etablierten Marken haben die neue Zielgruppe der Lohas entdeckt, allen voran der Otto-Konzern mit seiner „Pure Wear“-Kollektion, für die organische Baumwolle in Afrika angebaut wird. Die Jeansmarke Levi’s hat eine „Eco“-Jeans aus 100 Prozent organischer Baumwolle im Programm, Lacoste „Eco-Polo“ aus Biobaumwolle.

In Berlin bietet das Dr. Ziegler Naturkaufhaus ökologische Kleidungsstücke an, so zum Beispiel vom ökologischen Modelabel The Earth Collection. Das niederländische Label Kuyichi setzt auf Jeans aus Biobaumwolle, die in Peru, Indien und der Türkei unter Einhaltung sozialer Mindeststandards hergestellt wird. „Hanfhäuser“ in fünf deutschen Großstädten bieten Produkte aus ökologisch angebautem Hanf, neben Lebensmitteln und Kosmetika auch Taschen, Rucksäcke und Kleidung.

Vorrangig „fair“ geht es in den Läden der Kette American Apparel zu. Das 1997 von dem Kanadier Dov Charney gegründete Unternehmen produziert ausschließlich in Los Angeles. Es zahlt angeblich überdurchschnittliche Löhne an die Mitarbeiter und bietet außerordentliche Sozialleistungen. Was den Ökoanspruch angeht, so ist American Apparel dabei, seine Produktion auf Baumwolle umzustellen, die ohne Pestizide und Zusatzstoffe gewonnen wird. Dass die Kleidung dennoch relativ preiswert ist, begründet das Unternehmen mit einer eng verzahnten Fertigungskette unter einem Dach, die ohne aufwendige Transporte auskommt.

Die Idee kommt an: In den vergangenen Jahren konnte die Bekleidungskette allein in den USA über 150 Läden eröffnen. „Conscious Shopping“, das bewusste Einkaufen, liegt dort ebenfalls schwer im Trend. So verkauft das US-Label NAU über das Internet Outdoormode aus ökologisch gewonnenen Materialien. 5 Prozent des Kaufpreises gehen an eine Umweltorganisation, die der Kunde selbst bestimmt.

Wie aber lässt sich herausfinden, welche Produkte unter sowohl ökologischen als auch ethischen Gesichtspunkten hergestellt wurden? Seit zehn Jahren wird das Siegel „Öko-Tex Standard 100“ an Textilprodukte vergeben, die ohne krebs- und allergieverdächtige Farbstoffe hergestellt wurden. Darüber hinaus gibt es Grenzwerte für Schwermetalle, Pestizidrückstände und Formaldehyd. Diese Grenzwerte gehen manchen Experten allerdings nicht weit genug, besonders der Formaldehydwert ist umstritten. Ökotex 100 kann also als weitgehend schadstofffrei angesehen werden. Eine strengere Norm vertritt das Siegel „Naturtextil“, das nur an Produkte vergeben wird, deren Rohstoffe aus ökologischem Anbau stammen. Beim kontrollierten biologischen Anbau von Baumwolle, die als „kbA“-Baumwolle bezeichnet wird, gelten besonders strenge, verbindliche Kriterien, die den Einsatz von Pestiziden, Kunstdünger oder Entlaubungsmitteln strikt untersagen. „kbA“-Baumwolle erfüllt die ökologisch strengsten Qualitätsanforderungen.

Neues Siegel seit 2008

August 2008 wurde das Siegel „Global Organic Textile Standard“ (GOTS) eingeführt. Das weltweit gültige Siegel für umweltverträglich hergestellte Kleidung soll das Siegelchaos endlich beseitigen. GOTS-Textilien müssen zu 70 bis 95 Prozent aus Fasern aus „kbA“-Baumwolle oder Wolle aus kontrolliert biologischer Tierhaltung („kbT“) bestehen. Gefärbt wird ohne chemische Zusatzstoffe. Es gelten zudem soziale Mindeststandards wie das Verbot von Kinder- und Zwangsarbeit und das Gebot fairer Löhne und der Versammlungsfreiheit für die Arbeiter.

Solche „fairen“ Arbeitsbedingungen werden von unabhängigen Organisationen kontrolliert. Leider ist deren Vielzahl verwirrend. Textilfirmen lassen sich entweder von der Fair Labour Association, deSiegel Öko-Tex Standard 100r Business Social Compliance Initiative BSCI, der niederländischen Fair Wear Foundation oder der europäischen Standardisierungsinitiative SA 6000 kontrollieren und zertifizieren. Andere Unternehmen treten dem Global Compact der Vereinten Nationen bei und verpflichten sich damit zur Beachtung von Sozialstandards – die allerdings nicht kontrolliert werden. Wieder andere Konzerne haben mehr oder weniger strikte internationale Rahmenvereinbarungen mit den Gewerkschaften abgeschlossen. Immer mehr Textilien sind auch mit dem TransFair-Siegel ausgezeichnet.

Orientierungshilfe bietet das Freiburger Öko-Institut unter der Webadresse www.ecotopten.de an. Unter dem Stichwort „Hose, Hemd & Co.“ listet es „nachhaltige“ Produkte auf und gibt Kaufempfehlungen für ökologische, schadstofffreie sowie fair gehandelte und produzierte Textilien. Die Website des Öko-Instituts ist ein wahres Loha-Paradies: Ökologisch orientierte Verbraucher finden hier zum Beispiel unter „Wohnen“ Produktinformationen über Energiesparlampen, Gasheizungen und ganze Fertighäuser.