philipp maußhardt über Klatsch
: Die falschen Freunde

Für Reporter gilt das Gleiche wie für Karatekämpfer: Je dichter am Gegner, desto handlungsunfähiger sind sie

Kürzlich fuhr einer, aber nicht irgendeiner, mit seinem Porsche nachts mit überhöhter Geschwindigkeit durch München und dann plötzlich … und … ach Gott, was das für Folgen hatte … Aber da hört die Geschichte auch schon auf. Denn ich kenne den Fahrer persönlich und er mich, und das macht es nicht leichter, nein, sogar unmöglich, die Einzelheiten dieser Nacht zu erzählen. Obwohl ich sie natürlich wahnsinnig spannend finde. Aber man tut das doch nicht, seine eigenen Freunde oder Bekannte „hinhängen“, Dinge erzählen, die man privat erfahren hat. Jedenfalls sollte man es nicht.

Einmal hat mir ein Freund schriftlich die Freundschaft gekündigt. Wir hatten sogar zusammengewohnt und viele Abende in Kölner Kneipen miteinander verbracht. An solchen Abenden hatte er mir immer wieder Anekdoten über seinen prominenten Chef, den Fernsehmoderator Alfred Biolek, verraten, wie man eben so klönt, wenn der Abend lang und das Kölsch kühl ist. Eine dieser lustigen Geschichten schien mir geeignet, veröffentlicht zu werden, und so schrieb ich, mit ein wenig schlechtem Gewissen zwar, aber dann doch überzeugt von der Pointe, alles für ein bisschen Zeilengeld auf. Kurz darauf erhielt ich das Kündigungsschreiben. A. redete mich auf einmal mit „Sie“ an und erklärte jeglichen Kontakt für beendet. Erst dachte ich, er macht einen Spaß, aber er meinte es ernst.

Auf die Hochzeit einer Freundin war auch der Vorstandsvorsitzende eines der größten deutschen Industriekonzerne geladen. Er war schon am frühen Abend leicht angeschickert und sagte dann in seiner stark fröhlichen Ansprache, also noch bevor er volltrunken das „Panzerlied“ der Wehrmacht anstimmte, er sei froh, dass er sich hier einmal etwas ungezwungen benehmen könne, da ja keine Journalisten da seien. Ich spüre noch heute den Tritt meiner Freundin unter dem Tisch und sehe ihren eisigen Blick, der mir sagte: „Wehe, du schreibst das!“

Früher habe ich mich gewundert, warum Journalisten, von denen ich wusste, dass sie beste Beziehungen zu Regierungskreisen hatten, immer die langweiligsten Artikel schrieben. Manch einer war sogar privat beim Minister eingeladen und hatte dort viel Internes über die Koalition erfahren. Doch je mehr er erfuhr, desto weniger schrieb er. Er wollte sich schließlich seinen guten Kontakt nicht versauen.

Karatekämpfer wissen das: Nähe ist der beste Schutz vor einem Überraschungsangriff. Je dichter am Gegner, desto handlungsunfähiger ist er. Er kann nicht mehr ausholen, jede seiner Bewegungen wird schon im Ansatz erstickt. Nicht anders verhält es sich zwischen Prominenten und Klatschreportern. Selbst wenn sie sich hassen – sie müssen so tun, als wären sie Freunde, um sich voreinander zu schützen. Während der Klatschreporter glaubt, er sei durch die Freundschaft in den inneren Zirkel eingerückt, und sein Chefredakteur ihn dafür wertschätzt, hofft der Prominente seinen natürlichen Feind in seinem Spinnennetz kaltgestellt zu haben. Und es funktioniert: Die angeblich bestinformierten Klatschreporter der Republik schreiben oft erstaunlich Uninteressantes.

Sobald sich mir ein Mensch privat nähert, dessen Bekanntheitsgrad meinen eigenen übersteigt, beschleicht mich ein ungutes Gefühl. Es wird nicht lange gut gehen. Mit dem Sänger Dieter Thomas Kuhn (der mit der Schmalzlocke und dem Brust-Toupet) verband mich sogar fast einmal eine Freundschaft. Er hatte mich bei der letzten Fußball-WM zu sich nach Hause eingeladen, und wir johlten zusammen und leerten Flaschenbier. Aber dann kam auch mit ihm der Moment, wo der Hunger auf das Linsengericht überwog und ich öffentlich ausplauderte, was ich privat erfahren hatte: Kuhn war nachts auf der Straße zusammengeschlagen worden, wollte dies aber unbedingt geheim halten. Seit in Bild die Geschichte stand, hält er mich für ein Arschloch.

Heute kenne ich gerade noch einen Prominenten, von dem ich behaupten würde, er ist eine Art Freund. Die Bekanntschaft ist noch relativ frisch, und sie bedeutet mir sogar etwas. Aber je enger sie wird und je öfter wir uns treffen, desto größer ist meine Angst vor dem unweigerlichen Augenblick, in dem ich etwas erfahren werde, was noch niemand über ihn weiß. Ich spüre schon jetzt, wie es in meinen Fingern zucken wird. Wie die Tastatur meines Computers nach mir schreit: „Nimm mich!“ Und ich schwach werde.

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