Der Euro ist nicht schuld

Bundesamt für Statistik rechnet vor: Seit der Einführung des Euro steigen die Preise für Lebensmittel langsamer als zuvor. Nur einige Dienstleister langen seit dem neuen Geld stärker zu

VON MATTHIAS URBACH

Ach ja, der Teuro. Langsam hatten wir uns daran gewöhnt. Dass wir unser Sakko nicht mehr so oft in die chemische Reinigung schleppen. Dass wir keinen Wein mehr im Restaurant trinken. Dass sich eben jeder so eins, zwei Dinge verkneift und sich ansonsten den Kopf nicht mehr über die Währungsumstellung zerbricht. Da piesacken uns die Besserwisser vom Statistischen Bundesamt schon wieder mit einer Pressemeldung. „Zweieinhalb Jahre Euro: Geringere Teuerung als zu Zeiten der DM“.

Obwohl – neugierig macht das schon: In den zweieinhalb Jahren bevor wir das neue Geld in die Finger bekamen, stiegen die Verbraucherpreise um 4,3 Prozent, berichten die Statistiker. Doch in den zweieinhalb Jahren seitdem bloß um 3,3 Prozent. Dem ließe sich entgegnen, dass der Warenkorb, mit dem das Bundesamt diese Inflationsrate ermittelt, dominiert wird von Miete und Heizung – sie machen knapp ein Drittel aus. Und da schlägt der ständig schwankende Ölpreis natürlich viel unerbittlicher zu als der Euro.

Und tatsächlich: Schaut man nur auf die Dienstleistungspreise, steigen die inzwischen schneller. Die chemische Reinigung verteuerte sich um 3,8 Prozent (in den zweieinhalb Jahren davor um 2,9 Prozent), die Autowäsche wurde 6,4 Prozent teuerer (davor 3,9). Die Übernachtung mit Frühstück wurde mit 5,6 Prozent gar doppelt so schnell teurer.

Auch die Statistik beweist: Als im Januar 2002 die neuen Preise gemacht wurden, langten vor allem Friseure, Gastwirte und Kinos gnadenlos zu. Um durchschnittlich 2 bis 4 Prozent rundeten sie die Preise auf.

Doch die Wut der Kunden blieb nicht ohne Wirkung, denn seitdem entwickelten sich die Preise moderater. Vergleicht man nun die zweieinhalb Jahr vor und nach der Euro-Einführung, stiegen die Preise in Cafés und Restaurants mit plus 4,1 Prozent (den Anfangsaufschlag inbegriffen) nur wenig stärker als zu Zeiten der Mark (plus 3,7 Prozent). Friseure und Kinobesitzer erhöhten die Preise sogar weniger als vor der Euro-Einführung.

Zum schlechten Image des Euro trugen 2002 auch die erhöhten Lebensmittelpreise bei – vorweg die im Winter enorm gestiegenen Gemüsepreise. Doch das lag an der Kältewelle in Südeuropa – und ist längst passé. Bloß um 1,1 Prozent stiegen in den vergangenen zweieinhalb Jahren die Preise für Nahrungsmittel – zuvor waren es noch 3 Prozent.

Doch das Teuro-Image wird wohl auch diese Zahlen überstehen. Typisch ist der erbitterte Brief einer Leserin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung auf einen Artikel „Der Euro ist kein Teuro“ von Anfang des Jahres: Die Leserin aus Minfeld, „von Beruf Wirtschafterin“, („Ich weiß, wovon ich rede“) erklärte, dass viele Preise stark gestiegen seien, was ihr „und vielen Bekannten“ nun „fast jede Möglichkeit zur Ersparnisbildung“ nehme, auch wenn sie inzwischen viele No-Name-Produkte kaufe. Die seien inzwischen genauso teuer wie früher die Markenprodukte.

Natürlich wird fast alles immer teurer – wegen der Inflation. Aber das Gehalt steigt ja auch. Bisher jedenfalls. Doch immer mehr Leute müssen Nullrunden oder Einbußen ertragen. Zudem werden viele Dinge wie etwa Schwimmbäder oder Fußballtickets erheblich teurer, weil eben die Kommunen und Fußballclubs weniger Geld haben. Im Zweifel wurde alles auf den Euro abgeladen. Nimmt man dazu, dass die Ausgaben für Gesundheitspflege um 20 Prozent seit Januar 2002 stiegen, die für Tabak sogar um knapp 30 Prozent (aufgrund rot-grüner Reformen), grenzt es fast an ein Wunder, dass die Inflation insgesamt so überaus moderat ausfiel.

Der größte Fluch für die deutschen Eurobesitzer ist aber vermutlich der Wechselkurs von 1 zu 1,95583 oder knapp eins zu zwei. Deswegen runden wir im Kopf gern zuungunsten des Euro auf. Forscher der Uni München und der TU Dresden gaben Versuchspersonen zwei identische Speisekarten mit Preisen in Euro und in Mark. Teilweise wurde exakt umgerechnet, teilweise nach unten abgerundet, teilweise nach oben. Die Probanten glaubten nur dann fair behandelt worden zu sein, wenn die Preise nach unten abgerundet worden waren. Bei identischen Karten sahen die Probanden Preissteigerungen von 10 Prozent und mehr – und bestellten weniger.

Einen ähnlichen Schluss legt eine Auswertung der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen von 3.500 Hinweisen auf Teuro-Fälle aus: In drei von vier Fällen hatten sich die Kunden schlicht verrechnet. So trifft beim Teuro-Phänomen Psychologie auf Abzocke.

Trotzdem sollte eines klar sein: Neun Mark für ein normales Glas Wein ist wirklich zu viel.