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Marienindustrie

Wegen ihrer Rolle zwischen Göttlichem und Menschlichem ist Maria bei vielen Katholiken besonders populär. Die Jungfrau gebiert Jesus und gibt ihn so den Menschen. Durch diesen Akt wird sie Symbol für die Weitergabe des Göttlichen. Deswegen ist Maria laut Katechismus „das reinste Abbild der Kirche“. „Das Geheimnis der Menschwerdung des Gottessohnes aus der Jungfrau Maria“, so die Kirchenlehre, sei das „Herzstück“ des christlichen Glaubens. Für die Gläubigen ist Maria Fürsprecherin. Laut Kirchenlehre wurde sie „im Hinblick auf die Verdienste ihres Sohnes auf erhabene Weise erlöst“ und sei so frei von jeder persönlichen Sünde gewesen. Als Jesu Mutter erstreckt sich ihre Mutterschaft nach dessen Kreuzestod „auf alle Brüder und Schwestern ihres Sohnes, die noch auf der Pilgerschaft sind und in Gefahren und Bedrängnissen weilen“.

Das Phänomen Marienerscheinung lockt seit Jahrhunderten Scharen von Pilgern in der Hoffnung auf geistige, körperliche und seelische Heilung an vorher völlig unbekannte und eher kleinere Orte. In dem südfranzösischen Dorf Lourdes beispielsweise erschien am 11. Februar 1858 in der Grotte von Massabielle der 14-jährigen Bernadette Soubirous eine Frau, die sich bei einem der folgenden insgesamt 18 Treffen als die heilige Maria zu erkennen gab. Lourdes hat heute jährlich über 5 Millionen Besucher. Genauso viele Pilger kommen jedes Jahr in das portugiesische Dorf Fatima, wo am 13. Mai 1917 drei Hirtenkinder in einem blendenden Lichtschein eine Frau in weißem Kleid erblickten, die ihnen dann noch weitere sechs Mal erschien.

Beim „Sonnenwunder“ am 13. Oktober 1917 erschien den Kindern und einer Menge von siebzigtausend Menschen die Sonne minutenlang als sich drehendes und in den Farben des Regenbogen schillerndes Feuerrad. Das Phänomen dieser Erscheinung ist von Kritikern vielfach als Massensuggestion gedeutet worden.

Ob in Lourdes die Erscheinung der Gottesmutter das Attentat auf den Papst vorausgesagt hat, bleibt nach Aussage von Theologen dem Glauben des Einzelnen selbst überlassen. Generell hält man sich auf offizieller Seite mit genauen Kritierienkatalogen zum Thema Marienerscheinungen jedoch eher zurück. Wichtig ist, dass die Botschaft, von der die „Seher“ berichten, inhaltlich nicht von der Bibel abweicht. Denn nach katholischer Ansicht ist die Botschaft Gottes bereits vollständig in der Heiligen Schrift enthalten und durch sie verkündet.

Am 3. Juli 1876 gab es eine umstrittene Marienerscheinung im Härtelwald unweit des Dorfes Marpingen. Der britische Historiker David Blackbourne beschäftigte sich in seinem 1997 erschienenen Buch mit dem Phänomen. Nur zwei Jahre später, 1999, sichteten drei „Seherinnen“ erneut die Muttergottes im Saarland. Dreizehnmal soll die Madonna das Dorf Marpingen besucht haben. Kritiker vermuteten hinter den Botschaften den Beichtvater der Frauen, der die konservative „Marianische Priesterbewegung“ leitete. Das Medienereignis lockte über achtzigtausend Pilger in den Ort. Aber ein „deutsches Lourdes“ entstand nicht. Eine Bürgerbefragung stimmte dagegen.

Im vergangenen Jahr sorgte Maria für einen Pilgeransturm auf das Dorf Sievernich in der Voreifel. Einer medienscheuen 35-Jährigen soll die Gottesmutter regelmäßig beim Beten erschienen sein.

Der Präfekt der vatikanischen Glaubenskongregation, Kardinal Joseph Ratzinger, sagt zu dem Phänomen Marienerscheinung: „Die Wallfahrten der alten Christenheit konzentrierten sich oft auf Orte, über die unser moderner kritischer Geist bisweilen entsetzt wäre, gerade was die ‚wissenschaftliche Richtigkeit‘ der daran geknüpften Traditionen betrifft. Das hindert nicht, dass jene Wallfahrten fruchtbar, segensreich, heilsam und wichtig für das Leben des christlichen Volkes waren.“  MA

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