Und wieder war da Stacheldraht

„De-Facto-Flüchtlinge“, „Abschiebehindernis“, „Aufenthaltsverfestigung“: Nach dem Krieg wurden Zuwanderer in der jungen BRD mit einiger Kälte empfangen. Die Ausstellung „Hier geblieben“ dokumentiert das Schicksal der Zuwanderer. Sie ist ab diesem Sonntag in Wolfsburg zu sehen

Die Produktion hätte ohne die Zuwanderer nicht aufrechterhalten werden können

Die Tiefkühlpizza im Supermarkt, danach der entspannte Abend vor dem Blaupunkt-Fernseher – das Thema „Zuwanderung“ hat enorm viel mit dem Alltag zu tun und ist gleichzeitig für viele ein schwieriges, angstbesetztes Thema. Wie normal, aber auch wie problematisch Zuwandung und Integration in Niedersachsen sind, zeigt ab Sonntag in Wolfsburg eine Wanderausstellung der Niedersächsischen Landeszentrale für politische Bildung mit dem Titel „Hier geblieben“.

Leiterwagen, mit wenigen Habseligkeiten bepackt, eröffnen die Schau, gleich dahinter dokumentieren nostalgisch braunstichige Fotografien die Ankunft der Heimatvertriebenen aus Schlesien oder dem Sudetenland. Das ist lange her: Die Spuren, die diese Flüchtlingswelle hinterlassen hat, werden längst nicht mehr wahrgenommen. Dabei wurden bis Mitte der 50er-Jahre ganze Wohnviertel neu errichtet, um die Neuankömmlinge unterzubringen. Ins Auge fallen heute aber höchstens noch Straßennamen.

„Die sind nichts, die haben nichts“, hieß es oft, als die Flüchtlinge nach dem Krieg in Deutschland ankamen. Ab 1955 begann die Bundesregierung, gezielt ausländische Arbeitskräfte anzuwerben – zunächst in Italien, später auch in Griechenland, der Türkei und Spanien. Ob Siemens oder Blaupunkt: Die Produktion hätte ohne diese Zuwanderer nicht aufrechterhalten werden können.

Ein ehemaliger Personalchef verweist in einer Videoeinspielung darauf, dass viele Deutsche sich für diese Arbeiten zu fein gewesen seien. Trotzdem empfing man die arbeitswilligen Menschen keineswegs freigebig und mit offenen Armen: In Wolfsburg etwa wurden sie teils in von Stacheldraht umzäunten Baracken untergebracht. Der Grundstein für spätere „Ghetto- Bildung?“

Es ist die Stärke der Ausstellung, solche Fragen aufzuwerfen, ohne sie penetrant pädagogisierend zu formulieren. Wer beispielsweise an der Installation zum Grenzdurchgangslager Friedland vorbeigeht, der fühlt sich unwillkürlich bedrückt. Ein Schild mit der Aufschrift „Lagerverwaltung“, ein Haufen an Formularen – das genügt um einen Eindruck von der dortigen Atmosphäre zu vermitteln. An anderer Stelle listet eine Schautafel Begriffe auf, die die Kälte der Bürokratie zeigen: „De-Facto-Flüchtlinge“, „Abschiebehindernis“, „Aufenthaltsverfestigung“.

„Hier geblieben“ ist eine vielschichtige Collage zum Thema Zuwanderung und Integration. Die Informationen beschränken sich, den Gesetzen einer Wanderausstellung gehorchend, auf das Notwendigste. Die Zusammenstellung von Ton und Bilddokumenten, persönlichen Erinnerungsstücken und Zitaten, die ein Spektrum von Innenminister Otto Schily bis zum Schriftsteller Feridun Zaimoglu abdecken, wird dem komplexen Thema jedoch vollauf gerecht.

Vor allem macht die Dokumentation der Niedersächsichen Landeszentrale für politische Bildung aber eines deutlich: Ob Heimatvertriebene, Arbeitsmigranten, Spätaussiedler, oder Flüchtlinge und Asylsuchende: Immer handelt es sich um Einzelschicksale. Auf dem Rückweg jedenfalls ist der Blick auf eine Stellwand mit Portraits ein anderer, nachdenklicherer. Christoph Kutzer

vom 24.8. bis 19.10. in Wolfsburg, Bürgerhalle im Rathaus. Weitere Stationen: Braunschweig, Syke, Peine. Infos: www.nlpb.de