Prachtvoller Totalverfall

Abwicklungsmodell Dekadenz: Das Filmmuseum zeigt „Götterdämmerung. Luchino Viscontis deutsche Trilogie“ – ein Einblick in ein kunsthandwerkliches Universum von ungeheurem Luxus

Liebe als Lust, die einem Überfall gleicht und wie eine Krankheit verläuft

von MANFRED HERMES

Luchino Viscontis Antwort auf den Antifaschismus von 68 war eine düstere Retrospektive. In seinem Film „Die Verdammten“ bringt das Höllenfeuer der Stahlkocher ungeheuerliche Akkumulationsprodukte hervor: weiche Lüste, raffinierte Kleider und Intrigen, in deren Verlauf, nach Erpressungen, Inzesten und Morden, die Bourgeoisie faschistisch wird.

Schon in „Senso“ und „Der Leopard“ hatte Visconti die ganz weiten Geschichtspanoramen betreten und seine Hauptfiguren an historischen Bruchstellen aufgestellt. Gesellschaftliche Formationen verlieren ihre Geschäftsgrundlagen, die Genealogien der Familien stocken oder büßen die Exklusivität ein. Die so entstehenden Restposten und Modernisierungsverlierer waren immer Viscontis Lieblinge.

„Die Verdammten“ erweiterten das Bild auf eine europäische Ebene, als deren Schlüssel und wichtigstes Unterfutter er die deutsche Geschichte ansah. In mindestens drei Punkten stimmte sie immerhin mit der italienischen überein: Späte Nationenbildung, frühe Begeisterung für den Faschismus. Jeweils mit Nachwirkungen bis in die Gegenwart. Viscontis Faschismusbild war klar definiert: Der Eros wird in Todessehnsucht umgeleitet und für eine Versteinerung instrumentalisiert, die den Einzelnen wie die ganze Gesellschaft erfassen soll. In „Tod in Venedig“ wird diese Entwicklung als persönliche Kunstkrise beschrieben, auch in „Ludwig“ zeigt sich Dekadenz im Totalverfall des königlichen Körpers.

Nostalgie war in Viscontis Filmen nie eine Haltung mit nur regressiver Ladung. Zwar hieß sein Abwicklungsmodell Décadence, wurde von ihm aber eher als Scheitern vor dem romantischen Projekt der Durchdringung von Kunst und Leben verstanden. Nicht umsonst bildet die Musik von Richard Wagner den Hintergrund seiner „deutschen Filme“ – als ein Versprechen, das vom Faschismus korrumpiert wurde, aber noch weiterbesteht.

Neben der Kunst ist für Visconti die Sexualität die mächtigste Triebfeder. Sie stellt Ordnungen in Frage und drängt auf Neuland. In seinen frühen Filmen tritt sie zunächst melodramatisch als ossessione auf, als eine Lust, die eher einem Überfall gleicht und wie eine schwere Krankheit verläuft. In der grobschlächtigen Homosexualität, wie sie später in „Die Verdammten“ von SA-Leuten praktiziert wird, scheint schon etwas wie Modernität auf: Die nomadische Qualität einer Sexualität, die Klassengrenzen überschreitet und damit womöglich auch neue Gesellschaftsregeln vorbereitet.

Das Filmmuseum Berlin hat Luchino Viscontis „deutscher Trilogie“ nun die aktuelle Ausstellung gewidmet. Wolfgang Storch, ihr Kurator, stellt Parallelen her zur politischen Situation von 1968, es fallen aber auch Begriffe wie Verhängnis, Verderbtheit und „Wille zur Selbstzerstörung“. Dieser Lesart entspricht der dunkle Raum im Zentrum der Ausstellung. Nur vom Licht der Diakästen und LCD-Bildschirme erhellt, wird hier ein atmosphärischer Zugang zum Viscontischen Dekadenzdiskurs gesucht.

Wichtigstes Objekt der technisch aufwändigen Inszenierung ist ein langer Tisch, der die Festtafel der ersten Szene von „Die Verdammten“ nachbildet und die der Filmemacher Thomas Heise entworfen hat. Auf einigen Plätzen stehen wie Platzkarten Notebooks, auf denen unterschiedliche Filmschleifen laufen. Sie sollen ein Konzentrat der Machtverhältnisse herstellen, denen die einzelnen Figuren im Film unterliegen. Konzentrate scheinen sich aber eher in einem anderen Medium zu realisieren. Den verschiedenen Bildquellen entsprechen nämlich ebenso viele Schallquellen. Sie produzieren die Art von Soundteppich, der in Kunstkontexten seit Jahren Beiwerk der Wissensvermittlung ist. Auf diese Weise ist nun auch im Filmmuseum ein Erlebnisraum entstanden, der eher imposant als erhellend ist.

Wesentlich eindrucksvoller sind da aber die „klassischen“ Schauwerte der Ausstellung, die im Eingangsraum versammelt sind. Fotos, Zeichnungen, Drehbuchseiten und andere Unterlagen geben einen kurzen Blick in die Werkstatt Viscontis frei. Alte Fotos und Postkarten, die zu Vorlagen für Filmbauten und Kostümentwürfe wurden. Standbilder halten die Zeit an und ermöglichen so den Blick auf eher sekundäre Bereiche wie Ausstattung und Kostümbild, die von der filmischen und dramatischen Bewegung eigentlich degradiert werden.

Ein Sessel, mit einem Stoff bezogen, der von Missoni sein könnte, die breiten Seidenbänder an den Sommerschuhen von Silvana Mangano in „Tod in Venedig“ werden so zum Einstieg in ein kunsthandwerkliches Universum, das bei Visconti bekanntlich eine ungeheuere Ausdehnung und Pracht erreichte. Verfeinerungen, die nicht nur viel Geld vorausgesetzt haben, sondern auch einen überdurchschnittlichen Enthusiasmus, den Piero Tosi, seit „Bellissima“ für alle Kostüme verantwortlich, mit Sicherheit aufgebracht hat.

Es ist gerade dieser kunsthandwerkliche Perfektionismus, in dem sich Viscontis spezifischer Zugang zur Vergangenheit zeigt. Bei den Dekorationen und Kostümen konnte er hemmungslos Nostalgiker sein. Erst in der Filmaufnahme distanzierte er sich dann wieder, indem er die Opulenzen mit beinahe brachialen Schwenks und Zooms durchpflügte. Eines erreicht diese Ausstellung also in jedem Fall: Sie erinnert an eine Zeit, als es ein großformatiges, riskantes europäisches Kino gab, in dem noch etwas abzuarbeiten war.

Bis 16.11.2003. Filmmuseum Berlin. Zur Ausstellung erscheint ein Katalog im Jovis Verlag