„Cyclodextrin erkennt Fette“

Reformagenda 20/03 – Teil 8: Was trägt der Mensch im Klimawandel? Prof. Eckhard Schollmeyer, Leiter des Deutschen Textilforschungszentrums Nord-West in Krefeld, über intelligente Kleidung

Interview THOMAS WINKLER

taz: Herr Schollmeyer, die Politik steckt im Reformstau. Die Textilforschung auch?

Eckhard Schollmeyer: Die Öffentlichkeit verbindet die Textilindustrie immer noch mit einem althergebrachten Handwerk, aber das ist sie beileibe nicht mehr: Das ist eine High-Tech-Industrie geworden. Nicht in allen Bereichen, aber prinzipiell befindet sich die Textilindustrie derzeit in einem starken Umstrukturierungsprozess. Der Trend geht weg von den althergebrachten Bekleidungstextilien und hin zu technischen und funktionellen Textilien. Dieser Umbruch ist extrem, wird aber von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen.

Die Zukunft liegt in der intelligenten Kleidung?

Es gibt keine intelligente Kleidung, nur intelligente Menschen. Ich würde das „funktionelle Textilien“ nennen oder „smart textiles“.

Versprochen wird uns das Handy in der Krawatte.

Das soll intelligent sein? Was ist daran intelligent, wenn Sie das Handy miniaturisieren und in eine schön designte Tasche packen und ein Kabel ans Ohr führen? Das hat ja noch nicht mal etwas mit Textilien zu tun, das ist kein intelligentes Textil, das ist nur eine Tasche fürs Handy.

Welche Anwendungen können Sie sich denn trotzdem vorstellen?

Im Pflegebereich zum Beispiel: Wenn man die Leute nicht mit tausend Sensoren, mit denen man Blutdruck oder Herzfrequenz misst, am Arm oder Kopf ins Pflegebett legen will, integriert man die in die Kleidung. Das würde ich als intelligent bezeichnen. In Finnland wird zum Beispiel an folgender Anwendung gearbeitet: Wenn dort im Winter der Briefträger umfällt und sich nicht mehr bewegt, dann meldet sein Anzug das und seine genaue Position an die Zentrale.

Aber der Computer, dessen Festplatte in der Weste rotiert, während man die Maus in der Tasche bedient …

Das ist eine Spielerei. Wer nicht darüber nachdenkt, findet das toll, aber in Wirklichkeit ist das Augenwischerei.

Sie tragen stattdessen zur Anpassung des Menschen an den Klimawandel bei, indem Sie Textilien entwickeln, die nicht mehr nach Schweiß stinken.

Da gibt es viele verschiedene Projekte, an denen wir hier arbeiten. Eine davon ist ein Zuckermolekül, das so genannte Cyclodextrin. Das bringen wir auf die Oberfläche von Fasern auf, und dort ist es beim Schwitzvorgang in der Lage, die hydrophoben Substanzen zu erkennen, also die Fette, Öle, die der Körper so ausschwitzt. Diese Substanzen werden dann vom Cyclodextrin komplexiert, sodass den Mikrokulturen auf der Haut die Nahrung entzogen wird. Die Komplexe werden beim nächsten Waschvorgang wieder ausgespült. Damit entziehen Sie den Mikrokulturen die Kohlenstoffquellen, und es entstehen keine riechenden Abbauprodukte. Das können Sie nun intelligent nennen, aber eigentlich ist es nur ein biochemischer Vorgang.

Ist das bereits serienreif?

Anfang des nächsten Jahres werden verschiedene Firmen Socken, Herrenunterwäsche, Miederwaren oder Futterstoffe mit Cyclodextrinen auf den Markt bringen. Für hautnah getragene Textilien ist das der Stand der Technik.

Das wird erst mal sicher teuer werden.

Nein, nicht wesentlich teurer. Das ist ja keine Technologie, die Goldfäden einwebt.

Wie realistisch ist Kleidung, die kühlt, wenn man schwitzt, und wärmt, wenn man friert?

Daran wird zumindest in Amerika geforscht. Das sind mikroverkapselte Kohlenwasserstoffe, die bei Körpererwärmung einen Phasenübergang erster Ordnung haben, das heißt, sie gehen von fest auf flüssig über. Dabei verbrauchen Sie Wärme, das ist der Kühleffekt. Wenn nach dem Joggen die Körpertemperatur wieder sinkt, wird das wieder fest, und man bekommt die Wärme wieder, die man vorher reingesteckt hat. Das ist von der Idee her nicht schlecht, aber die Frage ist, welche Masse an mikroverkapselten Kohlenwasserstoffen man braucht, um einen tatsächlich spürbaren Effekt zu haben.

Das Jogging-T-Shirt würde dann ein paar Kilo wiegen?

Nicht gleich ein paar Kilo. Aber die bisherigen Arbeiten sagen aus, dass der erzielbare Effekt für die Anforderungen im Joggingbereich nicht ausreicht.

Andere Hersteller versprechen Sportbekleidung mit eingearbeiteten Sensoren, die automatisch Körpertemperatur, Blutdruck, Herzschlag messen.

Wenn das klein genug ist und vor allem alle Waschprozesse gut übersteht, dann habe ich nichts dagegen. Aber sprechen Sie mal mit Chipherstellern, und dann werden sie schnell herausfinden, was die Chips zu den Waschprozessen sagen. Noch sind wir nicht so weit, dass die Chips 80 Grad Waschtemperatur und die Tenside im Waschmittel überstehen – und das werden wir auch in nächster Zeit nicht sein.