Der Stromkampf von Bagdad

In zwei Dritteln des Irak gibt es auch heute nur sieben Stunden am Tag Strom. Die Ursachen dafür sind vielfältig, aber der Bevölkerung ist das egal. Bei Temperaturen von 40 Grad im Schatten sind die Menschen einfach nur sauer

Gewiefte Iraker vermieten Strom gegen eine Pauschale an die Nachbarn

BAGDAD taz ■ „Wenn es die Amerikaner geschafft haben, einen Mann zum Mond zu schicken, warum haben sie es dann nicht hingekriegt, 15 Monate nach Kriegsende den Irak mit Strom zu versorgen?“ Die Frage meines Bagdader Freundes Zuhair klingt ziemlich einleuchtend, wenngleich ich sie kaum verstehen kann, weil im Hintergrund gerade ein riesiger Stromgenerator den Gehsteig zum Beben bringt und so laut dröhnt, dass man fast sein eigenes Wort nicht hören kann.

Es ist gerade einmal wieder stromfreie Zeit im Zentrum der irakischen Hauptstadt. Alle drei Stunden wird der Strom abgestellt und stattdessen das Nachbarviertel versorgt. Dann schlägt die große Zeit dieser öltriefenden, Abgase speienden Monstergeneratoren. Man hört den Strommangel also nicht nur, man riecht ihn auch.

Nun hatte der neue irakische Stromminister bereits drei Monate vor der Machtübernahme Ende Juni versprochen, dass alles mit der Irakisierung der Verwaltung ganz anders werde. Die Stromversorgung des ganzen Landes werde im Juli wieder voll gesichert sein. Ein Versuch, nachzufragen, was aus diesem Versprechen geworden sei, scheitert an der informellen Medienblockade des zuständigen Ministeriums. Da hat zufällig niemand Zeit, die Frage zu beantworten, warum immer noch nicht regelmäßig Strom aus der Steckdose kommt. Immerhin: Ein Ingenieur in einer Zweigstelle des Ministeriums sagt ein informelles Gespräch zu, bekommt dann aber doch Angst vor seiner eigenen Courage. Er sei nicht da, lässt er ausrichten, während er sicherheitshalber die Tür zu seinem Büro von Innen absperrt. Nach wie vor haben zwei Drittel des Landes im Schnitt nur sieben Stunden am Tag Strom. Jene, deren Stromzähler zehn Stunden am Tag läuft, können sich glücklich schätzen.

Die Ursachen für die Misere sind bekannt: eine überaltete und in mehreren Kriegen zerstörte Infrastruktur und die Plünderungen nach dem Sturz Saddam Husseins. Nun haben die USA aber immerhin 1,4 Milliarden Dollar in den Wiederaufbau der irakischen Stromnetze und E-Werke gesteckt. „Power“ heißt im Amerikanischen sowohl der Strom als auch die Macht, weswegen die Amerikaner im Irak gerne vom „Power Struggle“, also dem Macht- respektive Stromkampf reden, denn sie offensichtlich bisher nicht gewonnen haben.

Die magische Produktionsmarke von 6.000 Megawatt, mit der die Stromversorgung des Landes einigermaßen gesichert werden sein soll, sollte bis Juli erreicht werden (allein der US-Bundesstaat Texas verbraucht in Spitzenzeiten zehnmal so viel). Erreicht wurden bisher aber nur 4.000 Megawatt.

Jaafar Ghani, der im Planungsministerium für ausländische Investitionen zuständig ist, nennt noch einen anderen Grund, warum die Pläne ins Stocken geraten sind. Einige E-Werke seien praktisch schon fertig gestellt, aber die ausländischen Fachleute kämen nicht, um sie abzunehmen. Aufgrund der schlechten Sicherheitslage und der Entführungen haben sich die Montageingenieure aus dem Westen rar gemacht.

Ein im Stromsektor arbeitender libanesischer Geschäftsmann, der nicht namentlich genannt werden will, führt noch ein anderes Argument für den Strommangel ins Feld: den Kampf der Kulturen. Die Fachleute der US-Armee oder privater amerikanischer Firmen verlangen von den irakischen Ingenieuren immer mehrere hundert Seiten umfassende „Machbarkeitsstudien“ und auch ansonsten allerlei auszufüllende Formulare. Die irakischen Ingenieure sind nach drei Kriegen und zwölf Jahren UN-Sanktionen dagegen eher vom Typ „Ärmel hochkrempeln und durch“ und, wie auch ihre amerikanischen Partner zugeben müssen, „Meister der Improvisation“.

Den fünf Millionen Einwohnern Bagdads sind die Ursachen der Misere ohnehin egal. Sie sind sauer. Bei über 40 Grad im Schatten, ohne durchgehend funktionierenden Kühlschrank, Klimaanlage oder Ventilator ist ihnen dies kaum zu verdenken. Doch es gibt auch Ausnahmen. Besonders gewiefte Iraker haben sich einen etwas größeren Generator angeschafft und vermieten nun den Strom gegen eine monatliche Pauschale an die Nachbarn.

Auch Abu Mussalem lebt vom Strommangel. Sein Laden liegt im Bagdader Bezirk Karada. Auf dem Bürgersteig stehen Dutzende von Generatoren in allen Farben und Größen. Das Geschäft laufe gut, sagt er. Je instabiler die staatliche Stromzufuhr, desto stabiler sein Einkommen, fasst er die Lage zusammen. Für einen kleinen Generator ist leicht ein doppeltes monatliches Durchschnittsgehalt fällig. Viele zögerten, aber vor allem wer Kinder hat, kommt früher oder später in seinem Laden vorbei und studiert die Preise. „Ein Erwachsener mag die Hitze noch aushalten, aber die Kleinen …“ Abu Mussalem wiegt sich in dem sicheren Wissen, dass er mit weiteren Käufern rechnen kann.

Und wenn der Strom vielleicht eines Tages wieder 24 Stunden fließt? Der Händler weiß, was er sich und seiner Kundschaft schuldig ist. „Kein Problem“ sagt er, „dann sattle ich einfach um und verkaufe Elektrogeräte.“ KARIM EL-GAWHARY