Südkorea nimmt 200 Nordkoreaner auf

Die bisher größte Gruppe nordkoreanischer Flüchtlinge erreicht Südkorea. Ein unbekanntes südostasiatisches Land, wo sie zuletzt gelebt hatten, wollte sie loswerden. Schon heute dürfte eine weitere große Gruppe Nordkoreaner den Süden erreichen

AUS TOKIO MARCO KAUFFMANN

Abgeschirmt von der Öffentlichkeit sind 200 nordkoreanische Flüchtlinge gestern auf einem Militärflughafen südlich der Hauptstadt Seoul gelandet. Südkoreas Regierung hüllte sich zunächst in Schweigen darüber, aus welchem Land sie kamen. Laut südkoreanischen Medien gehörten die 200 Überläufer zu einer Gruppe von 460 Nordkoreanern, die diese Woche aufgenommen werden. Die anderen werden für heute erwartet. Noch nie hat der Süden auf einmal so viele Flüchtlinge aus dem kommunistischen Norden einreisen lassen.

Die meisten Nordkoreaner verlassen ihr von Hunger, Misswirtschaft und Repression geprägtes Land via China, das eine 1.300 Kilometer lange Grenze mit dem stalinistischen Staat teilt. Chinas Regierung betrachtet die auf ihrem Territorium Gestrandeten allerdings als Wirtschaftsflüchtlinge, die sie unter Berufung auf ein bilaterales Abkommen mit Pjöngjang gewaltsam abschiebt. Einigen gelingt die Flucht in westliche Botschaften in Peking, meist mithilfe von Aktivisten wie dem deutschen Arzt Norbert Vollertsen. Diese Flüchtlinge lässt China in aller Regel über Drittländer nach Südkorea reisen.

Der größte Teil der nordkoreanischen Flüchtlinge flieht weiter über Vietnam, die Mongolei, die Philippinen oder Thailand. Daher ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass die 200 aus einem dieser Länder nach Seoul ausgeflogen wurden. Offenbar musste Südkorea die Flüchtlinge aufnehmen, nachdem sich der „südostasiatische Staat“ über die zunehmende Last beklagt hatte. Die Zahl der vom Süden aufgenommenen Flüchtlinge aus dem Norden stieg in den letzten Jahren stetig: 2003 waren es 1.300 Personen. In den ersten sechs Monaten dieses Jahres ersuchten bereits fast 800 um Aufnahme, meist in Dreier- oder Vierergruppen. Obwohl jeder Überläufer das Recht auf einen südkoreanischen Pass hat, war Seoul in den letzten Jahren zurückhaltend, wenn Nordkoreaner in Drittstaaten Unterstützung suchten. Der Annäherungsprozess mit Pjöngjang sollte nicht belastet werden.

Die 200 nordkoreanischen Frauen, Männer und Kinder wurden gestern zunächst in einem Auffanglager bei Seoul aufgenommen. Dort werden sie in zwei Monaten auf ihr Leben in ihrer neuen kapitalistischen Heimat vorbereitet. Südkorea hat zwei solche Übersiedlungszentren mit bis zu 400 Plätzen.

Nach Schätzungen von amnesty international halten sich 50.000 bis 300.000 nordkoreanische Flüchtlinge in China versteckt – viele in der Grenzregion Yanbian, in der tausende ethnische Koreaner leben. Die meisten Menschen dort seien auf der Suche nach Nahrungsmitteln und Medikamenten.

China aber verbot dem UN-Flüchtlingswerk mehrfach, in der Gegend zu arbeiten. Humanitäre Organisationen und kirchliche Kreise, die verdeckt in Yanbian arbeiten, berichten von Razzien gegen Nordkoreaner. Gewaltsam nach Nordkorea Zurückgebrachten drohen Arbeitslager oder gar die Todesstrafe.