US-Industrie darf schmutzig sein

Amerikanische Energieversorger müssen ab Herbst nicht mehr in Technologie zur Emissionsminderung investieren, wenn sie alte Kraftwerke modernisieren

BERLIN taz ■ Ein modernisiertes Kohlekraftwerk belastet die Luft nicht so stark wie der Vorgänger, sollte man denken. Schließlich müssen die Energieversorger in Umweltschutztechnologie investieren, um ihren Ausstoß von Schwefeldioxid und Stickoxiden zu senken. Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten gilt das bald nicht mehr: Kohlekraftwerke und Raffinerien in den USA dürfen künftig ihre Anlagen modernisieren, ohne sie – wie bisher erfordert – der sauberen Luft zuliebe nachzurüsten.

Bisher müssen Energieversorger und andere Konzerne ihre Anlagen mit Schadstoffminderungstechnolgie nachrüsten, wenn sie sie modernisieren. Das soll künftig nur noch gelten, wenn die Modernisierung mehr als 20 Prozent der gesamten Produktionsanlage kostet. Die 20-Prozent-Regelung sei „grotesk“, sagt die Umweltschutzgruppe „Natural Ressources Defense Council“ (NRDC): Ein Unternehmen könne seine Anlagen im Laufe der Jahre generalüberholen, Millionen sparen und danach die Umwelt noch mehr verschmutzen, kritisiert John Walke, Vorsitzender der NRDC-Arbeitsgruppe für saubere Luft. Der New Yorker Generalanwalt Eliot Spitzer kündigte an, gegen die neue Regelung zu klagen, sobald sie veröffentlicht werde.

Die Aufweichung des „Clean Air Act“ bedeutet einen wichtigen Sieg für die Energie-Industrie, die sich bei US-Präsident George W. Bush seit Beginn seiner Amtszeit intensiv für eine Lockerung der Vorschriften eingesetzt hatte. Ihr Argument: Die restriktiven Regelungen hätten zu hohe Kosten verursacht und Investoren abgeschreckt – und das in einer Zeit, in der der Energiebedarf stetig wächst.

Ganz genau genommen haben viele Unternehmen den „Clean Air Act“ sowieso nicht: Während Bill Clintons Amtszeit klagte das Justizministerium deshalb gegen dutzende Raffinerien und etwa 50 Kohlekraftwerke. Vor zwei Wochen gewann die Regierung einen Aufsehen erregenden Prozess gegen ein Kraftwerk in Ohio, das nicht wie gefordert in Minderungstechnologie investiert hatte. Bushs Administration führt auf der einen Seite also Klagen gegen Umweltsünder, die sie aus Clintons Amtszeit übernehmen musste, auf der anderen lockert sie die Regelungen – ein „Kollisionskurs gegen sich selbst“, wie die New York Times meint.

Weiteres pikantes Detail: Es könnte kein Zufall sein, dass die Neuregelung des „Clean Air Act“ kurz vor Amtsantritt des neuen Umweltministers Michael Leavitt fällt. Leavitt, lange Jahre Gouverneur des Bundesstaats Utah, sollte offensichtlich eine in der Bevölkerung unpopuläre Entscheidung erspart werden. Utah hatte sich gegen die Aufweichung der Regeln gewehrt. Senator John Edwards, möglicher Präsidentschaftskandidat, forderte Leavitt auf, sich gegen die Regelung „zu erheben, wenn er sich um unsere Kinder mit Asthma sorgt und um unsere alten Leute mit Lungenproblemen“.

„Es ist nicht das erste Mal, dass das Weiße Haus ein Gesetz entschärft, das seinen Freunden missfällt“, kommentiert die New York Times. Felix Matthes, Energie-Experte des Freiburger Öko-Instituts, schließt sich der Kritik an: „Das passt in das Bild, das die Bush-Administration in den vergangenen Jahren in Sachen Energie- und Umweltpolitik abgeliefert hat.“ BERND MIKOSCH