Organschau in Biolatschen

Dann lieber gleich Staatsratsvorsitzende: Die Tänzerin und Choreografin Astrid Endruweit setzt auf Gefühle „ohne jede Hemmschwelle“. Mit „Möchtest du mein Freund sein?“ ist sie im Podewil zu Gast

Das Unvorstellbare und Monströse zeigt sich neben dem Niedlichen

von JANA SITTNICK

Sie feiert keine Sex-and-Crime-Partys, sie verfängt sich nicht im dreifach gebrochenen ironischen Zitat, und sie stimmt auch keine Hasstiraden auf die unerträgliche Gegenwart an: Die Tänzerin Astrid Endruweit umgeht mit sicherem Gespür für das Wesentliche die Schlingen „nonkonformistischer“ Oberflächlichkeit und kommt – ganz altmodisch – bei der Moral an. Bei der Politik, beim Zwischenmenschlichen, bei der Frage nach dem richtigen Verhalten.

In ihrer ersten choreografischen Arbeit „Möchtest du mein Freund sein?“, die heute beim „Tanz im August“ uraufgeführt wird, erinnert sich Endruweit an jene monströsen Geschichten, die ihr ein amerikanischer Liebhaber weinend auf einem Berliner U-Bahnhof erzählte. Geschichten aus dem Krieg, als er bei den Marines gewesen war, als er Menschen tötete und an Ritualen teilnahm, wie etwa der „Organschau“ bei aufgeschlitzten Leichen seiner Feinde.

Astrid Endruweit ist klein, zierlich, ungeschminkt. Das Mädchenhafte rückt ihr tatsächliches Alter in weite Ferne. In Jeans, T-Shirt und Biolatschen sitzt die 31-jährige Berlinerin in der Kantine des Hebbel-Theaters und erklärt ihr Interesse an extremen Situationen. „Mein Antrieb war die Frage, wie gehe ich mit solchen Dingen um, die ich nicht selbst erlebt habe, wie verhalte ich mich.“ Bis heute habe sie zu dieser fünf Jahre zurückliegenden Geschichte keine wirkliche Position finden können: „Ich habe mich damals sofort getrennt.“

Ihr Stück „Möchtest du mein Freund sein?“ wirbt im Programmheft mit einem Foto der Performerin: Als Kind mit Spaßhütchen auf dem Kopf guckt sie in Papas Kamera. Und so wird es auch mit Endruweits Präsentation sein: Das Unvorstellbare, Monströse zeigt sich neben dem Niedlichen und Unbefangenen. Erinnerungen aus dem Kindergarten – „Ich stand vor dem Spiegel und kämmte mich, da kam ein kleiner Junge und fragte mich ‚möchtest du mein Freund sein?‘ “ – verbinden sich mit Sequenzen, die von der im Pflegeheim lebenden Großmutter inspiriert wurden.

Noch nie habe sie, meint Endruweit, die immer gebrechlicher werdende alte Frau so unbefangen reden hören. Das habe sie tief berührt. Deshalb sei auch dies ein Thema ihres Stücks – Gefühle „ohne jede Hemmschwelle“ auszudrücken.

Getanzt wird „Das Zimmer meiner Großmutter“ von Endruweits Butoh-Lehrerin Makiko Tominaga. Tominaga ist Enduweits Mentorin, der Butoh, der „moderne Tanz“ Japans, eine Art Erweckung. Für Endruweit ist klar, dass sie ohne Butho niemals auf die Bühne gekommen wäre. Als Kind wollte sie nicht „mittelmäßige Schauspielern werden, dafür gab es keinen Bedarf“.

Dann schon lieber gleich Staatsratsvorsitzende. „Ich war sehr engagiert“, meint Endruweit, „wollte etwas bewegen, von innen heraus“. Beinahe wäre sie in die SED eingetreten. Doch dann kam das Ende der DDR.

Astrid Endruweit ist beim diesjährigen Tanz im August gleich zweimal vertreten: mit ihrer eigenen Arbeit und als Tänzerin der Kompanie „Remote controle productions“ von Michael Laub. Dessen Stück „The H. C. Andersen Project“ lief hier vor kurzem mit großem Erfolg.

Der belgische Choreograf Michael Laub ist Endruweits zweiter Mentor und ihr Entdecker für die internationale Bühne. Ohne ihn, sagt sie heute, würde sie nicht da sein, wo sie ist. Vor vier Jahren wählte Laub, der beim „Tanz im August“ mit einem Stück zu Gast war und während des Festivals Workshops für Profitänzer gab, Endruweit aus der Vielzahl seiner Teilnehmer aus. Die Macher der Tanzwerkstatt, Ulrike Becker und André Thériault, hatten sie ihm vorgeschlagen.

Laub war beeindruckt und bot ihr ein Casting und anschließend die Zusammenarbeit für ein Solo an. Mit „Pigg in Hell“, das im Sommer 2000 in Berlin Premiere feierte, gab Endruweit ihren Einstand als Tänzerin. Das Solo, in dem Laub sie verschiedene Weiblichkeitsbilder aus ihrem sich ständig selbst entblößenden Körper geradezu herausquetscht, war ein Erfolg. Seitdem gehört sie zu Laubs Kompanie.

Im letzten Stück der „Remote controle productions“ zeigt sich Endruweit mit absurder Naivität in absurden Kleidern und absurden Posen: In einer alten roten Turnhose aus dem DDR-Unterricht, in der sie ungelenke rhythmische Gymnastikbewegungen macht, in ihrer Jugendweihegarderobe, in der sie verträumt zu „Felicità“ von Al Bano und Romina Power tanzt, in einem kreischbunten Sixties-Kleid, das sie zu einer Beerdigung getragen haben will, mit dem Fazit: falsche Gelegenheit.

Mit Michael Laub verbindet sie das Interesse an Sexualität und Gewalt, sagt Endruweit. Ihr Verhältnis zu dem Regisseur sei eher sachlich, distanziert, das helfe ihr, über sich zu sprechen und „Material zu erarbeiten“, eine Haltung zu den inneren Vorgängen zu finden. Etwas, das sie in ihrem eigenen Stück noch sucht.

„Möchtest du mein Feund sein?“, 26. und 27. August: 21 Uhr, 29. und 30. August: 19 Uhr, Podewil, Klosterstr. 68, Mitte