Neue soziale Probleme entstehen

betr.: „Bildung statt Rente heißt nicht, dass die Alten zittern müssen – Bildung, Bildung, Bildung!“ , Kommentar von Christian Füller, taz vom 19. 8. 03

Wer Bildung gegen Rente setzt, spricht den Einsatz von Steuergeldern an. Steuern werden zur Zeit als Bundeszuschuss aber nur in Höhe der versicherungsfremden Leistungen an die Rentenversicherung gezahlt.

Zu Kohls Zeiten wurden diese Leistungen, die aus Steuern zu finanzieren gewesen wären, von Rentenversicherungsbeiträgen beglichen, indirekt auch von den RentnerInnen; denn die Beiträge sollten im Umlageverfahren vollständig den RenterInnen zugute kommen, die in ihrer aktiven Zeit Versicherungsbeiträge geleistet haben. Wenn die Rentenformel der demografischen Entwicklung anzupassen ist, geht es darum, das Sozialprodukt so zu verteilen, dass BeitragszahlerInnen wie RentnerInnen einen vernünftigen Anteil daran haben. Steigt die Produktivität weiter, wird niemand ärmer, wenn Rentenprozentsatz und Nettolohnsatz sinken.

Auch beim Ersetzen der solidarischen Umlage durch private Kapitalanlage verschwinden die demografischen Probleme nicht; nur neue soziale Probleme entstehen, die Steuergelder wieder ausgleichen müssten. DIETRICH JAHN, Hannover

Nun scheint also auch für die Diskussion über Generationengerechtigkeit der ultimative Sündenbock gefunden. „…die immer frischen Abzocker in den Bildungseinrichtungen: Bummelstudenten…“ Nicht nur Alt wird gegen Jung, neuerdings wird auch Bildung gegen Rente ausgespielt.

[…] Mit den angesprochenen „Bummelstudenten“ sind die Langzeitstudis gemeint. Die Dauer ihres Studiums beträgt durchschnittlich das 1,5-fache der Regelstudienzeit. Stellt sich die Frage, warum’s denn manchmal länger dauert und vor allem wie die berühmten „Bummelstudenten“ sozial zusammengesetzt sind.

Eine Antwort darauf gibt zum Beispiel die 16. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks (2001): „Es ist davon auszugehen, dass Studierende der beiden unteren Herkunftsgruppen tendenziell länger an den Hochschulen verbleiben als Studierende der beiden oberen Herkunftsgruppen. Ein Grund für die längere Verweilzeit ist u. a. in der vergleichsweise hohen Erwerbstätigkeit, insbesondere zur Sicherung des Lebensunterhalts, zu sehen. […] Außerdem ist festzustellen, dass weit mehr Studierende der unteren als der oberen Herkunftsgruppe ihr Studium zwischenzeitlich unterbrochen hatten (61 Prozent vs. 43 Prozent). Als häufigsten Grund nannten die UnterbrecherInnen finanzielle Probleme (51 Prozent vs. 19 Prozent).“

Als zusätzliche Aspekte müssen an dieser Stelle noch ein Studiengang- oder Hochschulwechsel, ein studienbedingter Auslandsaufenthalt und Kindererziehungszeiten genannt werden. Sowohl bei den Renten als auch bei den „Abzockern“ im Bildungssystem ist es unverantwortlich, mit Durchschnittswerten zu argumentieren. Unsere Ausführungen sollen verdeutlichen, dass hiermit soziale Unterschiede verdeckt werden.

STEFANIE SCHRÖDER, ANDREAS KEMPER, ReferentInnen für

finanziell und kulturell benachteiligte Studierende im

Referat für Sozialpolitik des AStA der Uni Münster

Die Redaktion behält sich Abdruck und Kürzen von LeserInnenbriefen vor. Die erscheinenden Briefe geben nicht unbedingt die Meinung der taz wieder.