Londoner scheren sich wenig um City-Maut

Bislang bringt die Innenstadtgebühr wenig: Weil Verstöße kaum geahndet werden, bleiben die Einnahmen aus

DUBLIN taz ■ Der Plan klang gut, aber aufgegangen ist er bisher nicht. Im Februar führte Londons Bürgermeister Ken Livingstone eine so genannte Staugebühr ein. Ziel: die britische Hauptstadt vor dem Verkehrsinfarkt zu bewahren. Wer wochentags mit dem Auto in die City will, muss fünf britische Pfund bezahlen. Dafür hat er den ganzen Tag Zeit, danach aber werden bis zu 120 Pfund Strafe fällig. Andere Städte in Großbritannien, aber auch in anderen Teilen der Welt beobachten das Londoner Experiment mit Interesse: Auch sie liebäugeln mit der doppelten Möglichkeit, den Verkehr zu steuern und dabei noch Einnahmen erzielen zu können, wollen aber erst einmal sehen, ob die Londoner erfolgreich sind.

An den Staus hat sich in der britischen Hauptstadt bislang allerdings kaum etwas geändert. Großbritannien ist das verstopfteste Land Europas – und London weiterhin die Stadt mit den meisten Staus. Es gibt 24 Millionen Autos im Land, 439 Stück pro tausend Einwohner. In Deutschland liegt die Zahl zwar bei 521, doch offensichtlich lassen die Deutschen den Wagen öfter zu Hause und nutzen die öffentlichen Transportmittel weit mehr als die Briten. Der Verband der britischen Industrie schätzt, dass der britischen Wirtschaft jedes Jahr 15 bis 20 Milliarden Pfund verloren gehen, weil die Leute aufgrund von Staus zu spät zur Arbeit kommen und Waren verspätet ausgeliefert werden.

40 Prozent aller Staus treten in London auf. Die nun seit gut einem halben Jahr City-Maut-pflichtige Zone umfasst die Stadtteile Westminster, City, Elephant & Castle und Soho. Deren Einwohner zahlen nur ein Zehntel der Gebühr. Wenn Livingstone 2004 wiedergewählt wird, will er die Mautzone nach Westen ausdehnen. 2008 soll sie auch das Gebiet rund um den Flughafen Heathrow umfassen.

800 Kameras hat die Stadtverwaltung aufgestellt. Sie überwachen nicht nur die Zufahrtsstraßen, sondern auch die Innenstadt – falls es Fahrern gelingt, sich über den Gehweg an den Kameras vorbeizumogeln. Gleichzeitig sollen die Kameras – wenn sie nun schon da sind – helfen, Terrorangriffe abzuwehren. Die Geheimdienste haben an der Entwicklung mitgearbeitet. So enthält das System eine Software, die Gesichter erkennt und bei Gesuchten Alarm schlägt.

Doch bei den Autonummern haben die Kameras Probleme. Bei ungünstig einfallendem Sonnenlicht sind die Nummernschilder nicht zu erkennen, manchmal verwechseln die Angestellten die Kennzeichen, weil sie die Ziffern 1 und 0 nicht von den Buchstaben I und O unterscheiden können. 1.600 Schecks für Strafgebühren blieben uneingelöst, weil ein Drucker nicht funktionierte. Darüber hinaus werden viele Mautsünder gar nicht erst verfolgt. Das Unternehmen Capita, das für die Eintreibung der Gebühren zuständig ist, gab zu, dass der Aufwand dafür viel zu groß wäre. Ein Viertel aller Nichtzahler schlüpft nach Schätzungen durch das Netz. Die meisten Autofahrer, die jeden Tag in die Mautzone fahren, ohne je zu zahlen, bekommen höchstens einen Strafzettel pro Woche. Künftig sollen sie „mindestens drei, wenn nicht gar vier“ Strafmandate erhalten. Außerdem will man rigoroser durchgreifen: Seit Einführung der Gebühr sind erst sieben Autos von notorischen Zahlungsverweigerern beschlagnahmt und verschrottet worden.

Wegen der fehlenden Einkünfte für die Stadt mussten drei größere Projekte zur Verbesserung der Infrastruktur auf Eis gelegt werden. John Biggs, ein Labour-Stadtrat für London, sagte: „Der Erfolg der City-Maut hängt von der Glaubwürdigkeit ab. Wenn die Leute nicht glauben, dass sie geschnappt werden, ist es ihnen das Risiko wert.“

Livingstone hatte mit 120 Millionen Pfund Einnahmen pro Jahr durch die Staugebühr gerechnet, doch bereits im Frühjahr revidierte er diese Prognose auf 65 Millionen. Nun muss er Capita in den nächsten vier Jahren auch noch 31 Millionen Pfund zuschießen. Capitas Aktionäre können sich dennoch über eine 30-prozentige Steigerung der Dividende freuen. Die Aktien stiegen im ersten Halbjahr um zehn Prozent.

Neben der Londoner Maut-Erhebung konnte sich das Unternehmen weitere Staatsaufträge sichern. Auch dort ging nicht alles glatt. Weil Capita bei der Überprüfung des Lehrpersonals auf frühere Sexualvergehen Fehler machte, musste das Unternehmen 1,8 Millionen Pfund Vertragsstrafe zahlen. Der neun Millionen Pfund schwere Vertrag mit der Stadt Norfolk über die Verwaltung und Auszahlung der Renten wurde Ende Juli sechs Jahre vor Ende der Laufzeit gekündigt, weil Capita nicht wie vereinbart mit der Kommunalverwaltung zusammenarbeitete.

RALF SOTSCHECK