der stadtentwicklungsplan verkehr (teil 9)
: ÖPNV: Interessenpolitik verhindert einen fairen Wettbewerb

Senat und Verwaltung sind nicht in der Lage, die beschlossenen Pläne umzusetzen

Mit dem Stadtentwicklungsplan (StEP) Verkehr beginne ein „neues Verkehrszeitalter“, kündigte der Senat vollmundig vor einem Jahr an. Auf das Jahrzehnt der Restauration der Verkehrsinfrastruktur soll jetzt ein Jahrzehnt der „intelligenten Nutzung“ folgen. Experten, Planer und Kritiker diskutieren an dieser Stelle, immer freitags, über die Zukunft der Berliner Verkehrspolitik.

Freiwillig fährt in Berlin kaum jemand mit öffentlichen Verkehrsmitteln – Busse und Bahnen werden fast nur noch von Schülern, Rentnern und Armen benutzt. Aber mit Angeboten von vorgestern können nun mal keine neuen Kunden zum Einsteigen verführt werden.

Dabei eröffnet der StEP Verkehr durchaus Chancen für eine bessere Zukunft, denn er sieht beispielsweise die „Einführung und Ausweitung flexibler ÖPNV- Angebote“ vor. Da die Rechtsgrundlagen hierfür wenig geeignet sind, soll laut StEP Verkehr eine Gesetzesinitiative zur „Novellierung der entgegenstehenden gesetzlichen Regelungen“ gestartet werden.

Dieses Ziel ist sinnvoll: Zuzeiten und in Stadtteilen mit geringer Nachfrage sollen anstelle hoch subventionierter BVG-Busse mit wenigen Fahrgästen Taxis fahren. Denn die verschuldete BVG hat keine andere Wahl, als ihr breites Angebot dort zurückzufahren, wo der Fahrer oft nur allein im Bus sitzt.

Für die Fahrgäste würden Taxis mit Tür-zu-Tür-Service höhere Qualität bei deutlich geringerem Subventionsaufwand bieten. Das Not leidende Taxigewerbe hätte Aussicht auf neue Geschäftsfelder, Arbeitsplätze könnten entstehen. Etliche europäische Städte gehen bereits diesen Weg.

Ein vom Senat initiiertes und von Brüssel finanziertes EU-Demonstrationsprojekt im Süden Berlins hat im vergangenen Jahr gezeigt, wie ein solches Angebot in der Praxis aussehen kann: Mit Sammeltaxis konnten Menschen aus Kleinmachnow, Teltow und Stahnsdorf bequem und schnell zu Bahnhöfen im Berliner Süden und zurückfahren. Der Verkehrsverbund VBB und die BVG sahen in diesem kundenorientierten Angebot nur eine unliebsame Konkurrenz um Subventionen. Mitarbeiter des Senats, die das Projekt selbst beantragt hatten, entdeckten plötzlich erhebliche Genehmigungsprobleme für die Sammeltaxis.

Seit die Förderung aus Brüssel Anfang 2004 auslief, ist alles wie früher. Am S-Bahnhof Zehlendorf dürfen Fahrgäste am Abend jetzt wieder eine Stunde auf den nächsten Bus nach Teltow warten, für Reisende nach Stahnsdorf endet das Angebot der öffentlichen Mobilitätsdienstleister kurz nach 21 Uhr an der ehemaligen Mauer. Auf eine Anfrage der verkehrspolitischen Sprecherin einer Regierungsfraktion antwortete der Senat trotz dieser Missstände kürzlich, dass keine Notwendigkeit bestehe, die Rechtsgrundlagen für die Einführung „alternativer Bedienformen“ zu verbessern.

Dies ist nur eines von zahlreichen Beispielen dafür, dass Senat und Verwaltung nicht in der Lage sind, beschlossene Pläne umzusetzen. Zu stark sind die parteilichen, gewerkschaftlichen und persönlichen Verflechtungen zwischen den mächtigen Interessengruppen und Besitzstandswahrern in der Stadt. Folge: Nach der Berliner Bankenpleite ist der große BVG-Schuldenskandal (nach Auslaufen des Sanierungsvertrags im Jahr 2007) ebenso absehbar wie der weitere Abbau des Nahverkehrsangebots. Überrascht sein sollte davon niemand: Schon die offizielle ÖPNV- Terminologie entlarvt das Verhältnis der Anbieter zu ihren Nutzern: Fahrgäste werden nicht als Kunden gesehen, sondern als „Beförderungsfälle“ betrachtet – kein Wunder, dass viele so nicht behandelt werden wollen.

Vielleicht sollten die Berliner Nahverkehrsanbieter in einem ersten Schritt zur Besserung einfach einmal mit ihren (potenziellen) Fahrgästen sprechen. So könnten sie erfahren, was ihre Kunden wirklich wollen, und deren wertvolles Alltagswissen für die Angebotsgestaltung nutzen – Automobilhersteller praktizieren dies seit Jahrzehnten erfolgreich: Von der Autoindustrie lernen heißt richtig anbieten lernen. ÖPNV-Angebote werden in Berlin am Reißbrett von Verkehrsplanern entworfen, die sich dann wundern, dass sich Menschen in der Realität anders verhalten als in ihren bunten Computeranimationen.

Aber selbst wenn in Berlin in ein paar Jahren der Wettbewerb zwischen Nahverkehrsanbietern aus ganz Europa wahr werden sollte: Übertriebenen Zukunftshoffnungen für den ÖPNV sollte man sich angesichts der bestehenden Privilegien und Vorteile für Autofahrer in Berlin nicht hingeben. Solange Autofahrer dermaßen große Geschwindigkeits-, Image- und Komfortvorteile genießen können wie bisher, werden sie nicht umsteigen. VOLKER WARTMANN

Der Autor ist freier Journalist, u. a. auf Verkehrsthemen spezialisiert und dokumentierte den runden Tisch zum Stadtentwicklungsplan Verkehr. Nächste Woche: Das große Potenzial des Fahrradverkehrs