Zitternde Mieter in Kreuzberg

In der Yorckstraße 59 befindet sich eins der ältesten alternativen Wohnprojekte in Kreuzberg. Hier leben 60 Menschen in acht Wohngemeinschaften. Jetzt stehen sie kurz vor dem Rauswurf

VON OLIVER TRENKAMP

Früher hingen hier Transparente aus den Fenstern. Wer genau hinschaut, sieht noch einige Reste zwischen den Fenstern des roten Backsteingebäudes. Die Bewohner des alternativen Hausprojektes yorck59 mussten sie abnehmen. Aus Brandschutzgründen.

Das ist die offizielle Version. Im Haus wird vermutet, dass der neue Vermieter eine weitere Möglichkeit zur Schikane gefunden hat. „Der sammelt außerordentliche Kündigungsgründe“, sagt die Bewohnerin Tina.

Tina lebt schon seit 15 Jahren in der Yorckstraße 59. Sie war 1989 dabei, als es losging. Sie hat Wände rausgerissen, neu gezogen, Bäder gezimmert, Küchen eingerichtet. Kurz: Sie half, aus einem alten Industriegebäude eine neue Heimat für 60 Menschen zu schaffen, die „selbstbestimmt und alltagswiderständig“ leben wollten.

In acht Wohngemeinschaften, je zwei auf einer Etage, leben jetzt sechzig Bewohner zusammen, darunter zehn Kinder. Die Fremdsprachensekretärin Elli findet vor allem die „linke Lebensweise“ im Hausprojekt reizvoll. Wieder in eine „normale Mietwohnung“ zu ziehen kann sie sich nicht vorstellen.

Ebenso Maja, die demnächst Mutter wird: „Hier hast du keine nervigen Nachbarn und kannst politische Sachen zusammenmachen.“

Im Hausplenum diskutieren sie alles – von der Heizkostenabrechnung bis zum Demobündnis. Das sei zwar manchmal langwierig und ermüdend, stärke aber die Geschlossenheit, so der Psychotherapeut Bertram, der auch im Haus lebt.

Neben dem Zusammenleben steht politisches und kulturelles Engagement im Mittelpunkt. Die Antirassistische Initiative (ARI), die hier von Anfang an ihren Sitz hatte, unterstützt zum Beispiel Flüchtlinge. „Unsere Arbeit ist ohne das Haus kaum vorstellbar“, sagt Daphne von der ARI. So würden etwa Tagungen und Seminare in den beiden „Projekttagen“ stattfinden.

Doch im letzten Jahr wurde das Haus verkauft. Der alte Vermieter war Pleite. Der neue Eigentümer, Marc Walter aus Hamburg mit seiner Firma Yorckstraße 59 GbR, lässt das Haus von der hiesigen Firma Bau-Partner GmbH verwalten. Den Bewohnern zufolge begannen damit die Schikanen. Sie sollten den Hof räumen, auf dem regelmäßig Treffen und Feste stattfinden. Aufgehängte Plakate werden regelmäßig entfernt. Tina sagt: „Da wird jeder Vorwand genutzt, uns einzuschränken.“

Die Bewohner hatten versucht, das Haus selbst zu kaufen. „Aber unser Angebot wurde von der Bank komplett ignoriert“, erzählt Tina. Da der Mietvertrag im September ausläuft, muss nun neu verhandelt werden. „Die wollen die Miete verdoppeln. Das können wir nicht bezahlen“, sagt Tina. Besonders prekär für die Bewohner: Sie haben aus formalen Gründen nur einen Gewerbemietvertrag und genießen deshalb nicht den bei Privatwohnungen üblichen Kündigungsschutz.

Gregor Marweld von der Firma Bau-Partner sagt: „Der Eigentümer hat den Mietern ein Angebot gemacht, das sie abgelehnt haben.“ Ein Gegenangebot der Bewohner habe es nicht gegeben. Nun sei „gemäß Mietvertrag“ ein Schiedsgutachter von der Industrie- und Handelskammer beauftragt worden. Der soll den „marktüblichen“ Preis herausfinden.

Die Bewohner wiederum fordern einen runden Tisch mit allen Beteiligten. Das hat schon einmal geklappt: Bei einem früheren Mietkampf im Jahr 1994 war der Druck auf den damaligen Vermieter so groß geworden, dass er nachgeben musste.

Auch jetzt hat sich der Bezirk eingeschaltet. Die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) verabschiedete im Juni eine Resolution, wonach das Bezirksamt „alles Erforderliche“ tun solle, „um das Projekt zu erhalten.“

Am morgigen Samstag veranstalten die Bewohner ab 15 Uhr ein Soli-Fest, um auf sich aufmerksam zu machen.

Infos: www.yorck59.net