ROBIN ALEXANDER über SCHICKSAL
: Rapper, Schlepper, Bauernfänger

Die Halbstarken in meiner Straße schimpfen mich Junkie – und schuld ist der Musiksender Viva

Steig ein!/

Steig ein!/

Ich will dir was zeigen/

Der Platz an dem sich meine Leute rumtreiben?

Sido

In meiner Nachbarschaft grüßt man sich noch.

„Ey Alter, wieder arbeiten gewesen, was?“, sagen die vier Halbstarken, die in unserer Straße rumlungern, gewöhnlich, wenn ich auf dem Heimweg an ihnen vorbeigehe. Meine Freundin und ich nennen die Halbstarken Halbstarke, unser Nachbar nennt sie „Scheißtürken“ und der Sohn unseres Verwalters „Nachwuchskanaken“. Das ist natürlich ein bisschen hart, aber die jungen Männer zwischen fünfzehn und achtzehn machen es einem auch nicht leicht.

Quält sich ein älterer, auf Krücken gestützter Mitbürger an ihnen vorbei, feuern sie ihn an: „Schneller! Schneller! Schneller!“. Bei Schulkindern sammeln sie Taschengeld ein und werfen Brote auf den Boden. Frauen jeden Alters erfreuen sie mit laut vorgetragenen kritischen Würdigungen der sekundären Geschlechtsmerkmale.

Kurz und gut: Die Anwohner sind sich einig, dass diese vier nicht nur Produkt einer verfehlten Einwanderungspolitik sind, sondern vor allem verfehlter Erziehung. Und dass – wenn schon kein deutscher Pass, kein Ausbildungsplatz und keine Perspektive zur Verfügung stehen – doch wenigstens ein Satz heißer Ohren dringend erforderlich wäre.

Neulich war ich beinahe so weit. Nur die Einsicht, dass Gewalt keine Lösung ist, und angeborene Feigheit hielten mich zurück. Wieder kam ich von der Arbeit, wieder sprachen die vier Flauschbärte mich an, aber diesmal sagten sie:

– „Ey, Junkie aus dem vierten Stock, trinkst zum Frühstück erst mal zehn Bier.“

Das gab mir zu denken. Ich wohne beinahe wirklich im vierten Stock: nämlich im dritten. Und ich trug tatsächlich Bier unter dem Arm, keine zehn Flaschen, aber ein Sixpack. Auch, muss ich zugeben, mache ich nach der Arbeit manchmal schon einen etwas derangierten Eindruck. Aber ein Junkie? Ein schwer Drogenabhängiger? Wie kommen die bloß darauf?

Zwei Tage lang überdachte ich meinen Lebensstil und mein öffentliches Auftreten, bis mich ein Zufall aus allen Zweifeln erlöste: Beim Zappen sah ich einen Videoclip des Sängers Sido. Dessen Name soll angeblich ein Akronym für Super Intelligentes Drogen Opfer sein. Seine Kapelle nennt sich geschmackloserweise AIDS: Alles Ist Die Sekte. Seine neue Platte wird von www.laut. de treffend so rezensiert: „Westberlin, Märkisches Viertel, Analsex, Rap und Drogen – die Thematik ist dieselbe wie eh und je.“

In dem Clip erzählt ein Mensch, der seltsamerweise eine Totenkopfmaske trägt, im mit den üblichen Fäkalausdrücken und Verbalinjurien durchsetzten Sprechgesang von seiner Begeisterung für seinen runtergekommenen Wohnblock. Im ersten Stock wohnt ein Knastbruder, im zweiten eine „Nutte“, im fünften ein Fetischist und im elften „Schwule“. Und: Im vierten Stock wohnt der Junkie, der zum Frühstück schon zehn Bier trinkt.

Aha! Mir ging ein Licht auf: Wie immer hatte ich die geistige Armut unterschätzt. Unsere kleinen Halbstarken denken sich ihre dummen Beleidigungen nicht einmal selbst aus, sondern zitieren den Dreiviertelstarken, den sie im Musikfernsehen gesehen haben. Der wiederum kopiert nur die Ganzstarken: Die bösen Gangsta Rapper aus den USA.

Das schlägt ja wohl dem Fass den Boden aus: Die Jungs in unserer Straße haben überhaupt nichts – selbst ihre Pöbeleien sind geklaut. Mit denen muss man wohl wirklich mal ein Wort reden. Und wenn es unbedingt sein muss, kann es auch gereimt sein:

Du bist kein Gangsta, nur ein kleiner Flegel/

Dein Elend ist nicht cool, sondern hier die Regel/

Amerika? Du warst doch noch nie da/

Und Dein Rap läuft im Kindersender Viva.

Den Autor dissen? kolumne@taz.de

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