Das Ende einer Jagd

Im weltmarkterschütternden Kampf um den Ölkonzern Yukos steht Wladimir Putin kurz vor dem Sieg

VON ZITA AFFENTRANGER
UND NICK REIMER

Die russische Börse korrigierte am Donnerstagmorgen den Trend der Woche: Nur Minuten nach Eröffnung konnten die Aktien des umkämpften russischen Ölkonzerns Yukos ein 17-prozentiges Plus verbuchen, nachdem die Aktien im Verlauf der Woche ins Bodenlose gestürzt waren und mit unter drei Dollar einen Tiefpunkt von 2001 erreicht hatten. Dies bedeutete ein Minus von 46 Prozent in nur gerade drei Tagen und einen Kapitalverlust von über sechs Milliarden Dollar.

Grund für den Aufwärtstrend war, dass das Justizministerium am Donnerstag klar stellte, dass es sich beim Wirbel um einen angeblichen Produktionsstopp um einen Sturm im Wasserglas handelte. Yukos hatte am Mittwoch verlauten lassen, die Steuereintreiber hätten dem Unternehmen verboten, sein Öl weiter zu verkaufen, das rund ein Fünftel der russischen Gesamtproduktion ausmacht. Diese Aussicht schickte Schockwellen bis nach New York, wo der Ölpreis mit 43 Dollar einen neuen Höchststand erreichte.

Aber am Donnerstag machte das Justizministerium klar, dass es „keine Befehle gibt, Produktion und Ölexport einzustellen“. Die Konten der Yukos-Töchter Yuganskneftegas, Tomskneft und Samaraneftegas bleiben weiterhin eingefroren. Yukos hatte diese Woche gewarnt, man werde schon bald nicht mehr für den Bahnverlad bezahlen können, mit dem rund ein Viertel des Öls transportiert wird.

Beobachter werten den jüngsten Schlagabtausch als Zeichen dafür, dass der Besitzerwechsel für Yukos nahe ist. Steuereintreiber haben bereits angekündigt, die Yukos-Tochter Yuganskneftegas, die einen Schätzwert von rund 15 Milliarden Dollar hat, zu verkaufen, um ausstehende Steuerschulden in Höhe von 3,4 Milliarden Dollar für das Jahr 2000 einzutreiben. Und dem Unternehmen des verhafteten Milliardärs Michail Chodorkowski wurde bereits eine neue Rechnung in gleicher Höhe für 2001 präsentiert; weitere könnten folgen. Weil die Gerichte alle Aktien des einst blühenden Konzerns eingefroren haben, ist Yukos heute am Rande der Zahlungsunfähigkeit.

Derweil zeichnet sich ab, wie der Kreml die Jagd auf Yukos und die Abrechnung mit Chodorkowski, der dem Kreml politisch zu vorlaut geworden war, zu beenden gedenkt. Putin hat diese Woche seinen Kanzleichef und engen Alliierten aus Geheimdiensttagen, Igor Setschin, zum neuen Chef der staatlichen Ölgesellschaft Rosneft ernannt.

Der Konzern gilt nun als Favorit für den Kauf von Yuganskneftegas. Denn für den Kreml würde sich damit der Kreis schließen: Setschin gilt als der Mann, der die Attacke gegen Yukos und Chodorkowski angestoßen hat. Damit wären die Silowiki, die Vertreter von Militär und Geheimdienst, als deren Anführer Setschin gilt, an einem Etappenziel: Nach der Ausschaltung Chodorkowskis haben sie seinen lukrativen Ölkonzern innerhalb eines Jahres in ihre Hand gebracht und allen Wirtschaftsmagnaten im Land klar gemacht, wer im Kreml das Sagen hat.

Längst ist die Yukos-Affaire allerdings keine innerrussische Angelegenheit mehr. Russland ist nach Saudi-Arabien der weltweit zweitgrößte Öllieferant und Yukos, dessen Tochtergesellschaften täglich etwa 1,7 Millionen Barrel Öl fördern, trägt dazu ein Viertel bei. Händler hatten befürchtet, dass das Verkaufsverbot endgültig das Ende von Yukos besiegle und das quasi automatisch zu Engpässen führen werde. Tatsächlich nämlich sind die Opec-Mitglieder nach eigenen Angaben an der absoluten Obergrenze ihrer Förderkapazität angekommen.

Hielte das Gezerre zwischen Putin und Yukos noch länger an, droht sich sogar das Wirtschaftswachstum in Deutschland zu verlangsamen. „Die Preise für Erdgas oder Kohle sind direkt an den Ölpreis gekoppelt“, erklärt Manuel Frodel, der beim Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung die Abteilung Ressourcen leitet. Höhere Energiepreise führten dazu, dass weniger produziert wird. Halte sich der Ölpreis auf einem hohen Niveau von um die 40 Dollar, koste das 0,25 Prozent des schmalen deutschen Wirtschaftswachstums.