Der Kenteradmiral

Hamburgs Regierung kann auf Bildungssenator Rudolf Lange nicht verzichten – sonst ist die Koalition in Gefahr. Schüler, Eltern und Lehrer aber würden gerne ohne den Konteradmiral a. D. Schule machen

„Lange wird gehengt, sein Haus wird geschprengt“

aus Hamburg SANDRA WILSDORF

Rudolf Lange trägt gerne dunkelblaue Blazer mit goldenen Knöpfen und spricht maritim. Er sieht sich auf der Kommandobrücke, bei steifer Brise durch raue See segelnd. Wenn er so richtig in Schwierigkeiten ist, dann gibt er zu Protokoll: Flaute fände er langweilig, stürmische Zeiten seien sein Metier. Bei der Marine ist der pensionierte Konteradmiral eigentlich zu Hause. Und stürmisch ist es, seitdem sich der Freidemokrat als Hamburger Bildungssenator versucht.

Als sich die Hamburger im September 2001 genervt von 44 Jahren Dauerregiment der SPD dem Amtsrichter Ronald Schill zuwandten, da musste auch die FDP mit ins Regierungsboot. Sonst hätte es für den Christdemokraten Ole von Beust nicht zum Bürgermeister gereicht. Rudolf Lange war, obwohl gerade mal seit eineinhalb Jahren in der Partei, irgendwie Spitzenkandidat der FDP geworden – und Bildungssenator.

Nun, nach dem Rausschmiss Schills, ist Lange noch unverzichtbarer für den Bürgermeister. Er ist der einzige Senator, den die 5,1-Pünktchen-Partei FDP stellt. Käme es zu Neuwahlen, wäre es nach Langes Leistung im Amt alles andere als sicher, ob die Hansestädter die Liberalen wieder in die Bürgerschaft bugsieren würden.

Seitdem der Exadmiral das Amt übernommen hat, segelt er im selbst verursachten Dauertief. Seine Berufung ins Schulressort kann nur damit zusammenhängen, dass die FDP sich selbst beharrlich zur „Bildungspartei“ erklärt. Seine Qualifikationen fürs Amt jedenfalls sind übersichtlich: Abitur und Leitung der Führungsakademie der Bundeswehr.

So war es dem Militär gelungen, bereits nach wenigen Monaten alle gegen sich aufzubringen, die in der Stadt etwas mit Schule zu tun haben. Sogar den konservativen Deutschen Lehrerverband, der große Hoffnungen in den politischen Wechsel gesetzt hatte, verschreckte er. Den ehemaligen Sprecher der Interessenvertretung hatte sich Lange sogar als Staatsrat in die Behörde geholt. Doch inzwischen lädt der Lehrerverband regelmäßig zu Pressekonferenzen, auf denen ihr Vorsitzender empört „Mit uns nicht!“ Richtung Schulbehörde ruft.

Man kann es auch positiv sehen: Das Thema Bildung bewegt die Menschen wieder. Wenn Eltern, Lehrer und Schüler zu Demonstrationen gegen Langes Politik aufrufen, dann strömen die Massen. 50.000 Menschen waren es vergangenes Jahr. Eine Volkspetition („Bildung ist ein Menschenrecht“) haben über 43.000 Hamburger unterschrieben. Seit Lange in der Schulbehörde das Sagen hat, besetzen Schüler ihre Klassenzimmer, ziehen gemeinsam mit Eltern Menschenketten um ihre Schulen. Beinahe täglich bringen Delegationen Protestbriefe in die Schulbehörde.

Lange versteht das nicht. Er will doch für alle nur das Beste. Und tatsächlich ist der 1941 in Hamburg geborene Senator ein netter älterer Herr. Schwer vorstellbar, dass er einer der ranghöchsten deutschen Militärs war, Deutschland im Pentagon vertrat und Helmut Kohls Berater in Sachen Nuklearstrategie war. Man möchte ihn, vielleicht, als Opa – aber nicht als Bildungssenator. Das Problem ist: Was Admiral Lange für das Beste hält, ist Schulpolitik aus dem vorvergangenen Jahrhundert, durchgesetzt im Kasernenhofton.

Lange weitete im neuen Schulgesetz den Katalog für Strafen aus. Renitente Jugendliche können jetzt bis zu zehn Tage von der Schule verwiesen werden. Eltern sollen wieder für die Bücher ihrer Kinder zahlen. Er hat das Abitur nach zwölf Jahren und eine dritte Sportstunde eingeführt – ohne ein zusätzliche Lehrerstelle auszuweisen. Bislang konnten Eltern in der dritten Klasse zwischen Noten- und Berichtszeugnissen entscheiden – künftig gibt es wieder Noten, verpflichtend für alle.

Und weil die Christdemokraten in der Gesamtschule ihr Feindbild sehen, wurde sie in der Hansestadt Hamburg radikal zur Ader gelassen: 10,3 Prozent weniger Lehrerstellen. „Das Ende der Gesamtschule“, stöhnen da viele Lehrer und Schulleiter – hinter vorgehaltener Hand. Wer sich öffentlich äußert, riskiert ein Disziplinarverfahren.

Der Mann, der mit der „Gorch Fock“ die Welt bereiste, ist ein gutes Beispiel dafür, dass Studien dazu benutzt werden, eigene Ansichten zu untermauern. Den weltweiten Schulvergleich Pisa betrachtet der Senator in der Regel so: „Wir sehen uns durch die Ergebnisse in unserer Politik bestätigt.“ Seine zweite Standardantwort: Wenn die Gewerkschafter ihn kritisieren, schimpft er sie „Besitzstandswahrer“ – egal, welches Thema sie gerade ansprechen.

Der Senator hat ein neues Lehrerarbeitszeitmodell ersinnen lassen. Es soll Arbeit gerechter verteilen. So müssen beispielsweise Sportlehrer künftig mehr arbeiten, Deutschlehrer hingegen nicht – entsprechend ihrem Zeitaufwand für Vor- und Nachbereitung. Wer viele Elterngespräche führt oder die Computer wartet, darf das künftig anrechnen.

Klingt gut. Die Wahrheit ist aber: Das Modell soll weitere drei Prozent Lehrerstunden einsparen. „Mogelpackung“, „Mehrarbeitsmodell“, „rechtswidrig“: Die Lehrer schäumen. Die Pädagogen drohen Dienst nach Vorschrift an. Als Erstes wollen sie streichen, was Schule schön macht, aber Mehrarbeit bedeutet: Klassenreisen, Bundesjugendspiele, Jugend forscht, Theater-AGs. Lange indes glaubt immer noch: „Wir haben ein Modell geschaffen, was auch die Lehrerschaft lange gefordert hat.“

Rudolf Lange und seine Lehrer, sie sind einander fremd. Am Anfang hatte der Senator in einem Interview noch gesagt: „Ich bin der älteste Schüler Hamburgs.“ Doch kurz danach muss er sich selbst von der Schulpflicht befreit und ein Leben als Autodidakt begonnen haben. Seine Mitarbeiter in der Behörde beklagen, dass er nicht liest, was sie ihm vorlegen, dass er ihren Rat nicht einholt, dass er nicht diskutiert, sondern verfügt. Sie würden ihn wahrscheinlich belächeln, hätte er nicht die Macht über ihre Karriere.

Beispiellos ist, wie Lange seinen Landesschulrat Peter Daschner bloßstellte. Der wisse nicht mal, wie viele Lehrer es in Hamburg gebe, behauptete Lange von seinem renommierten Schulrat – in öffentlicher Sitzung im Landesparlament. Der Admiral nannte Daschners vermeintliches Nichtwissen „relativ unakzeptabel“. In Wirklichkeit hatte er Schwierigkeiten mit dessen fundierten, aber bildungspolitisch sehr anderen Positionen. Immerhin, auf öffentlichen Druck entschuldigte sich der Senator zwei Wochen später: „Ich bedaure den Ort und den Ton meiner Äußerungen. Dies tut mit Leid.“ Daschner ist in Fachkreisen anerkannt, Lange wird es niemals sein – schon wegen dieses Vorfalls. Aus dem Konter- wurde ein Kenteradmiral.

Der Stil des einstigen Oberausbilders der deutschen Stabsoffiziere sieht so aus: Statt über geplante Maßnahmen mit denen zu sprechen, die sie betreffen, erteilt er Orders von der Kommandobrücke. Pädagogen aber funktionieren nicht wie Soldaten. Weil er sich nicht auskennt mit seiner überaus gut organisierten Klientel, hat er Fehler gemacht. Er reagierte nicht, als Hamburgs GEW-Chefin Stephanie Odenwald ihn zum Gespräch lud. Ein neues Schulgesetz plante er zeitlich so knapp, dass Eltern-, Lehrer- und Schülerkammer allenfalls pro forma ihre Ansichten dazu abgeben konnten. Auch das Konzept einer Unternehmensberatung zur radikalen Umstrukturierung der Bildungsbehörde verteilte er kurzfristig – die Anhörungspflichtigen hatten kaum Zeit, es zu lesen, geschweige denn zu verstehen. Kann man machen, man hat ja die Mehrheit. Kommt aber nicht gut an.

Aber woher soll Lange das wissen? Im Kreise seiner Kollegen Regierenden ist Gutmensch ein Schimpfwort, Pädagogik eine Waschlappen-Disziplin. So ist der FDPler gar nicht allein schuld am Bildungskrieg in der Hansestadt. Er ist nur Teil einer Truppe. Und dazu noch der einzige Senator des kleinsten Koalitionspartners. Selbst wenn er könnte, wollte er das Sparen nicht verhindern. Aber er kann auch nicht. Und wollen ist nicht genug.

Im Wahlkampf hatte der Spitzenkandidat der Elbliberalen noch 750 neue Lehrerstellen versprochen, 400 davon schafften es bis in den Koalitionsvertrag. Und so war sich der Senator seiner Sache zu sicher, als er vor einem Jahr nach Jesteburg zur ersten Haushaltsklausur fuhr. Mit dem vorher erteilten Auftrag des Finanzsenators, jeder möge sich Sparvorschläge überlegen, fühlte er sich nicht gemeint. Lange hatte, so wird kolportiert, sich nichts überlegt. Der Finanzsenator schon. Beamte müssen mehr arbeiten, Lehrer auch: Abbau von 1.050 Lehrerstellen. Volle Breitseite gegen Lange.

Der Senator versuchte die Niederlage schönzureden: Schuld sei der Vorgängersenat. Rot-Grün habe einfach viel mehr Lehrer eingestellt als finanziert. Das alles sei aber nun erst herausgekommen, und er müsse nun zunächst Ordnung in den Haushalt bringen. Hohngelächter schallte ihm entgegen. Denn erstens hatte die Bürgerschaft ganz offiziell beschlossen, Lehrer schon vor Abschluss ihres zweiten Staatsexamens einzustellen; Referendare sollen so davon abgehalten werden, in andere Bundesländer abzuwandern. Zweitens erleben Eltern und Schüler den Mangel täglich an ihren Schulen.

Und dann war da noch die Lüge, die vielleicht auch nur eine von Langes Ungeschicklichkeiten war: Im Frühjahr 2002 hatte er in einem Brief an seine LehrerInnen versprochen, dass es „eine Erhöhung der Wochenpflichtstundenzahl oder eine Absenkung der Gehälter nicht geben wird“. Doch dann kam Jesteburg, die Mehrarbeit für alle Beamten – und das Gegenteil von Langes Beteuerungen. Die FDP bemühte sich um Schadensbegrenzung. Am Ende gab es zwar ein paar zusätzliche Stellen, doch seine Gegner rechneten schnell: Am Ende der Legislaturperiode würden es immer noch weniger Lehrer sein als am Anfang. Von wegen 750 neue Lehrer. Lange nervte das Gerechne. Er wolle nicht über Zahlen reden, flüchtete er vor der Wahrheit, sondern über Inhalte.

„Der eine kann schon lesen, der andere ist langsamer“

Hamburgs GEW-Vorsitzende Odenwald sah einen „Abgrund an Lügen, Täuschung und Diffamierung“. Die Lehrerkammer-Vorsitzende äußerte, Lange sei „noch nicht in der Zivilgesellschaft angekommen“. Die Opposition forderte Langes Rücktritt. Wegen Dilettantismus, Wortbruch und Führungsschwäche. Wäre nicht gerade Bundestagswahl gewesen, eine Phase also, in der man Landesminister nicht entlässt, Lange wäre wohl längst, was er vielleicht hätte werden sollen: ein Rentner, der auf ein erfülltes Berufsleben zurückblicken und sich an den Enkeln freuen kann.

So aber rettete die Regierungsmehrheit ihren Bildungssenator. zähneknirschend. Denn auch Bürgermeister Ole von Beust soll ziemlich genervt gewesen sein von den Dauerprotesten gegen das wichtige Ressort. Als Aufpasserin holte er Parteikollegin Ingeborg Knipper aus dem Ruhestand zu Lange auf die Brücke. Als Leiterin des Amtes für Schule, die kurz nach Amtsantritt ihren 70. feierte, kann sie nun endlich durchsetzen, was sie in den vergangenen Jahrzehnten in der Opposition nur fordern konnte.

Die Enkel übrigens sind Langes wichtigste Ratgeber. Weil er von denen gelernt hat, dass Kinder ganz unterschiedlich entwickelt sind. „Der eine konnte schon lesen, als er zur Schule kam, der andere ist da ein bisschen langsamer“, sagt Lange – und begründet so, warum er die Klassen eins und zwei sowie drei und vier zusammenfassen will.

Die Hamburger Regierungs-Koalition aber mag darin kein Problem der Substanz erkennen, sie sieht beim Bildungssenator lediglich ein Vermittlungsproblem. Also wurde zu dem ersten ein zweiter Pressesprecher hinzugestellt – ein Bonner CSU-Mann, zuletzt Sprachrohr einer Versicherung. Der verließ trotz fürstlicher Entlohnung schon nach wenigen Tagen das Schiff wieder. Nun soll ein Oberleutnant der Reserve, zuletzt bei der Bunten, die Wogen glätten.

Mit mäßigem Erfolg. Kürzlich zeigte Lange der Presse Zeichnungen, die ihm zugegangen waren. „Lange wird gehengt, sein Haus wird geschprengt, seine Komplizen werden erschosen, die Schüler habens genosen“, so hatten Schüler zusammengekritzelt und -gemalt. Die Ursprungsgrundschule der unappetitlichen Pamphlete lag im eher linksalternativen Schanzenviertel. Bild machte eine Kampagne daraus, druckte die Drohbriefe und Fotos der Leiterin der „Hass-Schule“. Ein paar Tage lang war die Stadt richtig empört. Untergegangen wäre dabei fast, dass Lange noch eine andere schlechte Nachricht hatte: Anders als versprochen, gibt es nun wohl doch für 4.000 Kinder berufstätiger Eltern keinen Kita-Platz.

Doch dann kam heraus, dass die Drohbriefe schon drei Wochen zuvor verschickt worden waren. Die Schulleiterin hat zudem erst aus der Zeitung von der Sache erfahren. Das nährt den Verdacht, dass Lange die Drohbriefe gezielt aus der Schublade gezogen hatte – um von der Kita-Katastrophe abzulenken.

Neulich waren Eltern und Schüler einmal ganz kurz mit ihrem Senator einer Meinung: Dass der NDR die „Sesamstraße“ vom frühen Abend auf den frühen Morgen verlegen wird, fanden sie alle gemeinsam gleichermaßen empörend. Lange ließ sich von Radio Hamburg sogar zum Schirmherrn des Protests machen. Das muss ein gutes Gefühl gewesen sein.