„Idiotisches System!“

Arbeitszeitverlängerung? „Ein Witz, mit dem Politiker uns beweisen, dass sie wirklich kein Konzept haben“, sagt der Philosoph Frithjof Bergmann. Er fordert: nur die halbe Zeit für Geld zu arbeiten

„Wir bräuchten in Schulen Sprinkler, die anspringen, wenn nur ein Kind sich langweilt“

bremen taz ■ Vielleicht würden die Deutschen neue Wege aus der Krise der Arbeit suchen, wenn Anschläge wie in Madrid auch hierzulande stattfänden. „Zeitgleich in München, Berlin und Köln.“ Aber sehr zuversichtlich wäre er da nicht, sagte der US-amerikanische Philosoph Frithjof Bergmann kürzlich in Bremen. Krise und Terrorismus gehören für ihn zusammen.

Seit 25 Jahren entwickelt Bergmann Gegenkonzepte zu dem „idiotischen System“, in dem Menschen entlohnte Arbeit wie eine leichte Krankheit behandeln. „Übermorgen ist es vorbei. Dann ist Wochenende.“ Ansonsten steckten die meisten den Kopf in den Sand, um nicht sehen zu müssen, dass „ein pathologisches Arbeitssystem“ die Welt immer ärmer mache: Einerseits die Menschen mit Job, „aber arm an Begierde“, die unter wachsendem Druck mehr schufteten für weniger Geld – und andererseits die ohne Arbeit, von denen viele schon „buchstäblich in Erdlöchern“ hausten. „Draußen auf der See kreist ein Orkan, von dem wir nur einen Hauch spüren“, skizzierte Bergmann auf der öffentlichen Einladung des „Forum Futura“ der swb AG die Lage der Welt. Mit strubbeligen Haaren über einer riesigen Denkerstirn warf er seine Gedanken in den Raum – ganz direkt und ohne jede Power-Point-Allüre.

„New Work“ heißt die Antwort des Professors an der Universität von Michigan auf die Krise der Arbeit: Nur die Hälfte der Zeit für Geld arbeiten – und die übrige Zeit in lustvolle, gemeinschaftliche Produktionen stecken. In Ann Arbor, Innsbruck und Salzburg gebe es schon praktische Ansätze. In kleinen Läden in Einkaufszentren stellten Erwerbslose Brillen nach Maß her – oder italienische Schuhe – oder wasauchimmer. „Eine kindereinfache Idee“, lacht der 60-Jährige. Mit Hilfe moderner Technologie sei Vieles möglich, die Menschen müssten nur Abschied nehmen von der „idiotischen Idee“, dass Wachstum mehr Arbeit bedeute. Das Gegenteil sei doch der Fall.

„Jeder kann sehen: Automatisierung vernichtet Arbeit weltweit“, sagt Bergmann, der als Managementberater auch „die ganz oben“ in den Bankenetagen oder bei den Automobilherstellern kennt und weiß: „Viele Manager haben Schiss vor der Frage, was noch kommt.“ Es sei „ein echter Witz“, heute Arbeitszeit zu verlängern. „Als wenn die Regierung es darauf anlegt uns zu beweisen, dass sie kein Konzept hat.“ Im Wettlauf um Ansiedlung von Arbeitsplätzen würden Unsummen vernichtet.

„Wir müssen die Frage ‚Wozu bin ich da?‘, mit dem Thema Arbeit verknüpfen“, kehrte Bergmann den Philosophen hervor. Dann werde der Systemwechsel unausweichlich – übrigens auch in einem Erziehungssystem, in dem Schulen nur abhärten für die Langeweile im späteren Arbeitsleben. „Wir bräuchten in jeder Schule ein Sprinklersystem, das anspringt, wenn nur ein Kind sich langweilt“, machte Bergmann die Reichweite seiner Gedanken anschaulich. „Denn es ist eben nicht damit getan, dass der einzelne Lehrer sich mehr anstrengt.“ Alles müsse anders werden. Widerspruch dazu äußerte im Publikum niemand – nur Fragen. ede