Techno is the new Indierock

Alle Plattenhändler klagen über das schlechte Geschäft, diese zwei nicht: Reinhard Senfts und Raphael Klawuhns Laden Boteca brummt. Mit elektronischer Musik erfreut Boteca den Friedrichshainer Südkiez. Berliner Plattenhändler im Porträt (Teil 5)

von GUIDO KIRSTEN

Sie sind einer Meinung. Sie pflichten sich bei und ergänzen sich. Selbst äußerlich ist die gegenseitige Mimikry offenkundig. Reinhard Senft und Raphael Klawuhn, die Betreiber des Plattenladens Boteca im Friedrichshainer Südkiez, sind ein eingespieltes Doppel. Und im Einzelwettbewerb treten sie nicht an. Wann immer man den Laden betritt, sitzen die Vinyl-Dealer gemeinsam hinter der Theke.

Beide sind noch recht jung. Raphael, der sich selbst als „Träumer oder Schwätzer“ charakterisiert und im Gespräch tatsächlich schnell die Wortführerrolle besetzt, ist erst 26; sein Kompagnon Reinhard, „der Arbeiter“, gerade mal vier Jahre älter. Begonnen hat ihre Symbiose vor etwa fünf Jahren. Sie kannten sich schon flüchtig aus der Berliner Hausbesetzerszene und standen immer öfter auf Konzerten mit ihren Plattenkisten nebeneinander. So wurde die gemeinsame Leidenschaft fürs runde Schwarze zum Vertrieb (Westberlin-Medien) und Mailorder-Versand assoziiert. Daraus entstand dann vor zwei Jahren Boteca. Man brauchte Lager und Büro, da konnte man gleich noch einen Plattenlatten anschließen. Der eigene Kiez bot sich an: „Kreuzberg war zu rockig, Mitte zu teuer und zu langweilig und Prenzlauer Berg schon zu gut besetzt. Da war es eigentlich logisch, hier zu bleiben, wo wir eh schon lange wohnten.“

Wie so mancher Indierocker stellten Senft und Klawuhn Ende der Neunziger zu ihrer großen Überraschung fest, dass es neben Indierock auch noch elektronische Musik gab. Anders als bei anderen, für die TripHop oder Postrock die ideale Passage auf diesem Weg darstellten, stand für die beiden das Interesse an Krach und Experiment im Vordergrund. Hinzu kamen die ersten euphorisierenden Erfahrungen in Berliner Clubs. Entsprechend besteht das Angebot des Plattenladens heute zu etwa drei Vierteln aus elektronischer Tanzmusik.

Das eigene Interesse der beiden Händler und die Nachfrage ihrer Kunden haben sich inzwischen harmonisiert. Ein größer werdender Teil der Boteca-Gänger besteht aus mehr oder minder professionellen Plattenauflegern. Die Neuheitenkisten sind perfekter Indikator der Musikhierarchie. In zweien von ihnen residiert die Techno-House-Aristokratie, während sich die Sparten HipHop-Rap-Headz-Urban, Guitars-Future-Rock und Electronica-Breakbeatz-Indietronics gemeinsam in eine Kiste zwängen müssen. Dass der Fremdling Gitarrenmusik überhaupt noch geduldet wird, ist der nostalgischen Erinnerung an vergangene Tage geschuldet. Und auch die Beherbergung der HipHop-Fraktion entspringt einer Art Parallelbegeisterung Senfts, der diese Musik manchmal unter dem Namen Johann Berghaus auflegt.

Das Erstaunlichste an Boteca: Anders als in vielen Berliner Plattenläden rollt hier der Rubel. Eine richtig schlüssige Erklärung haben die beiden dafür nicht. Es liege wohl an den verschiedenen Standbeinen Verkauf, Vertrieb, Mailorder, meinen sie. Und an der guten Lage in der Kopernikusstraße. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass sie sich stärker spezialisiert haben als andere.

Jedenfalls verkaufen Reinhard Senft und Raphael Klawuhn so viele Platten, dass sie damit nicht nur ihre Krankenversicherung bezahlen können, sondern auch die obligatorischen Clubbesuche, die so zum Geschäft gehören. Schließlich müssen sie wissen, was gerade geht.

Gehen sich die beiden eigentlich nie auf die Nerven? Rappelt es nicht mal im Karton? Bringen einen nach fünf Jahren nicht schon die klitzekleinsten Minimacken des anderen auf die sprichwörtliche Palme? Nicht in der Boteca-Traumehe. Die zwei sind so aufeinander eingespielt, dass selbst bei Entscheidungsalleingängen selten böses Blut entsteht. „Wir wissen ja inzwischen, was der andere so über bestimmte Sachen denkt.“ Selbst die seltenen Unstimmigkeiten werden „ganz konstruktiv“ verhandelt, meinen sie. An den letzten handfesten Streit können sie sich schon gar nicht mehr erinnern.

Im Prinzip scheint also alles so, als könne es mit der Boteca bis in alle Ewigkeit so weitergehen. Aber können sich die beiden wirklich vorstellen, dass es jetzt immer so weitergehen soll, dass sie womöglich noch mit Mitte fünfzig zusammen im Plattenladen stehen? „Das vielleicht nicht, aber bis 40 auf jeden Fall“, meinen sie.