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Bilder der gezähmten Welt

Gekonnt sediert: Die neue Ausstellung in der NGBK sorgt für Entspannung

Eine Berliner Idylle: Das Pärchen mittleren Alters hat zwei Kissen auf das Fensterbrett gelegt und gemütlich die Arme aufgestützt. Sie steckt sich erst mal eine Zigarette an. Er murmelt ein paar Kommentare über das Geschehen auf der Straße. Was die beiden nicht wissen: Sie werden die ganze Zeit vom gegenüberliegenden Haus aus gefilmt.

„Zwei am Fenster“ heißt das Video von Kerstin Rudolf, das in der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) zu sehen ist. Es dient als Prolog zu einer Ausstellung, die den viel versprechenden Titel „Fenster zum Hof“ trägt. Genau wie in dem gleichnamigen Hitchcock-Thriller verweist Rudolf auf die ambivalente Situation des anonymen Beobachters: In dem Hollywoodstreifen spielt James Stewart einen Kriegsfotografen, der die Idylle eines Hinterhofs ausspioniert, dabei einen Mord beobachtet und schließlich selbst zur Zielscheibe des Mörders wird. Bei Rudolfs Video kann der Ausstellungsbesucher das gaffende Pärchen zunächst in aller Ruhe betrachten, bis die Frau irgendwann die Kamera bemerkt. Die Blicke treffen sich, das Gesicht auf dem Bildschirm macht den Zuschauer zum Voyeur.

Ein solcher Moment ungemütlicher Selbstreflexion bleibt die Ausnahme. Die künstlerischen Positionen, die die Arbeitsgruppe RealismusStudio der NGBK versammelt hat, zeigen vor allem Bilder einer gezähmten, friedlichen Welt. Gelegenheit für einen entspannten Blick auf subtile Arbeiten: Die Pariser Künstlerin Natacha Nisic hat in ihrem Video „les endormi(e)s“ schlafende Pendler in japanischen Zügen gefilmt. Wenn man den Schlafenden gegenübersitzt und die Musik aus einem benachbarten Video herüberschwappt, bekommt das Zuschauen etwas Meditatives. Stefanie Bürkles Fototapeten dokumentieren andere Welten: Der chinesische Themenpark „Window of the world“ versammelt die wichtigsten Sehenswürdigkeiten unseres Planeten auf ein paar Quadratkilometern. Eine harmlose und zugleich surreale Landschaft, deren einziger Sinn darin besteht, begafft zu werden.

In ähnlich fluffiger Weise kommen die restlichen Arbeiten daher. Man will es kaum glauben – eine so friedliche Atmosphäre ausgerechnet in der NGBK, dem engagierten Kunstverein im wilden Kreuzberg! „Damit demonstrieren wir die Unabhängigkeit des RealismusStudio“, sagt der Kurator Frank Wagner mit einem Grinsen. Und weist darauf hin, dass es Nachdenkliches hinter der Harmoniefassade gebe, das man entdecke, wenn man sich nicht vollständig einlullen lasse. Nicics Schlafende sind einfach erschöpft nach einem langen Arbeitstag. Und der chinesische Themenpark existiert, weil seine Besucher kein Geld haben, um weit zu reisen.

Ambivalentes zeigt auch die zweite Komponente von „Das Fenster zum Hof“. Bei der begleitenden Filmreihe schaut das Publikum nach Hitchcock-Vorbild aus dem Fenster in den Innenhof der NGBK, wo auf eine Wand Kurzfilme projiziert werden. Heute gibt’s unter dem Stichwort „Utopien“ Arbeiten von lettischen Künstlern – unter anderem den bekannten Streifen „But the hour is near“ von Juris Poskus, der missionierende Sektenmitglieder auf Rigas Straßen zeigt. Und im Film „Epidemija“ von Dace Dzerina sprechen vier weiß gekleidete Menschen zu entspannender Musik beruhigende Sätze. Gelegentlich gähnen sie, und auch das Publikum merkt schnell, wie ansteckend und gleichzeitig befreiend Gähnen sein kann. Man fällt einfach in diese gruselige Harmoniewelt hinein. TIM ACKERMANN

„Das Fenster zum Hof“, bis 8. August in der NGBK, tägl.12–18.30 Uhr, Filmabend immer freitags 22 Uhr

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