TERRORPROZESS IN HAMBURG: EIN FREISPRUCH IST DURCHAUS MÖGLICH
: Deutschland ohne Feindstrafrecht

Deutschland im dritten Jahr nach den Anschlägen von New York und Washington: Der Islamist Mounir al-Motassadeq steht erneut vor Gericht, weil er die Attentäter unterstützt haben soll. Zittern muss aber nicht Motassadeq, sondern der Ankläger, Generalbundesanwalt Kay Nehm. Nachdem der Bundesgerichtshof die zunächst erfolgte Verurteilung aufgehoben hat, spricht viel dafür, dass Motassadeq nun zumindest vom Vorwurf der Beihilfe zum Massenmord freigesprochen wird.

Ein „Feindstrafrecht“, wie es jüngst Exinnenminister Gerhard Baum heraufziehen sah, ist weit und breit nicht zu sehen. Die Justiz achtet die Rechte der Angeklagten und spricht im Zweifel trotz vieler Verdachtsmomente frei. Das gilt nicht nur für Motassadeq. Auch sein Bekannter Abdelghani Mzoudi, der ebenfalls die Anschläge unterstützt haben soll, wurde Anfang des Jahres freigesprochen. Verhandelt wird derzeit außerdem gegen die Al-Tawhid-Zelle in Düsseldorf und den Tunesier Ishan G. in Berlin. Sie sollen jeweils Anschläge in Deutschland geplant haben. Die Beweislage ist schwierig, der Ausgang deshalb offen. Zugleich droht Motassadeq und Mzoudi allerdings die Ausweisung – auch falls sie strafrechtlich freigesprochen werden. Auf den ersten Blick passt dies nicht ins rechtsstaatliche Bild. Wie kann man jemand des Landes verweisen, dessen strafrechtliche Schuld gerade nicht bewiesen wurde?

Die Antwort ist einfach. Im Ausländerrecht geht es nicht um Strafe, sondern um Gefahrenabwehr. Deshalb gilt hier auch die Unschuldsvermutung nicht. Der gefährliche Hund muss auch einen Maulkorb tragen, bevor er gebissen hat, und das AKW sollte abgeschaltet werden, bevor der Reaktor leckt. Gefahrenabwehr beruht auf Prognosen und damit immer zu einem gewissen Maß auf Spekulation.

Dass Islamisten wie Motassadeq und Mzoudi, die Ausbildungslager in Afghanistan besucht haben, potenziell gefährlich sind, kann man durchaus nachvollziehen. Die beabsichtigte Ausweisung ist vielleicht nicht zwingend, aber immerhin rechtsstaatlich vertretbar. CHRISTIAN RATH