Der Galopper des Jahres: Jochen Borchert

Jochen Borchert ist Geflügelbauer und Christdemokrat aus Wattenscheid. Der einstige Landwirtschaftsminister unter CDU-Bundeskanzler Helmut Kohl, zeigt als Jägerpräsident und Galoppdirektor, was er alles in Bonn gelernt hat

Das Stück Grünland zwischen Fabriken und Autostraßen, sie beackern es seit 1958. Bis heute lebt der Geflügelbauer Jochen Borchert unweit des Ruhrschnellweges in Wattenscheid. Ausgerechnet im Industrierevier wurde aus dem Christdemokraten ein Bundeslandwirtschaftsminister und dann der Präsident des deutschen Jagdschutz-Vereines und Vorsitzender des Direktoriums für Vollblutzucht und Rennen (VDR). Doch nun weht dem zurück haltenden Multifunktionär der Wind ins Gesicht.

Die Galopprennvereine aus Hamburg und Baden-Baden wollen Borchert ablösen. Vertreter von zwölf Rennbahnen in Deutschland sollen schriftlich seinen Rücktritt gefordert haben. Die Turfszene, einst Tummelplatz der Reichen, ist unruhig geworden wie Vollblüter. Der Sport leidet unter Einnahmeverlusten – wenig Zuschauer, weniger Wetten. Borchert, seit fünf Jahren erster Galopper des Landes, setzt „in der schwersten Krise seit 150 Jahren“ auf vorsichtige Antworten. Rät zum Pferdesharing – auch Frau Ingrid, Ratsfrau in Bochum, teilte sich mit acht konservativen Politikerinnen das Rennpferd Conquistador. Und die Renntage sollen mit Biederkeit zurück in den Erfolg: Familientage. Doch was die Rennvereine nun auf die Barrikaden treibt, ist der Entwurf des neuen Rennwettgesetzes.

Demnach sollen Auslandswetten generell verhindert werden und Pferdetipps im Land besteuert werden – die klammen Vereine befürchten nun das wirtschaftliche Aus. Der Vorwurf der Rennbasis: der Konservative habe als Lobbyist und Parlamentarier seine Muskeln nicht genügend spielen lassen.

Die trainierte Borchert seit 1965, damals trat er der CDU bei. 1980 schaffte er es in den Bundestag. Als Haushaltsexperte wurde er 1989 gar zum einflussreichen Haushaltssprecher der Regierungsfraktion. 1993 machte ihn Kanzler Helmut Kohl zum Landwirtschaftsminister. Mit ganzer Macht rang der nüchterne Protestant fortan in Europa für die Interessen der deutschen Großbauern – sein enger politischer Protegée und Ziehvater war stets Bauernpräsident Constantin Freiheer Heeremann.

Der Einsatz des Flüchtlingkindes aus der DDR für das deutsche Rindfleisch in Zeiten der BSE-Krise kann dann schon als tolldreist bezeichnet werden: Ohne Rücksicht auf Verluste verspeiste Borchert 1997 so viel davon, dass er wohl selbst froh war, den Selbstversuch mit dem Regierungswechsel 1998 beenden zu können.

Seiner Karriere tat das keinerlei Abbruch. Obschon er als Haushälter Kontakte zu einigen Waffenlobbyisten unterhielt, wurden ihm keine Verwicklungen in die Geschäfte von Verteidigungsstaatssekretär Holger Pfahls nachgewiesen. Auch die Ermittlungen gegen ihn wegen der CDU-nahen Berliner Firma Aubis wurden eingestellt. Neben seinen Ehrenämtern ist der 64-Jährige Aufsichtsratsvorsitzender des Landwirtschaftlichen Versicherungsvereines Münster AG – bundesweit einer der fünf Top-Autoversicherer.

Wer so gut gefedert ist, übersteht auch die Palastrevolution der Rennvereine. Statt hektisch zurück zu treten, fuhr der Galopp-Präsident aus dem Ruhrpott erst einmal in den Jahresurlaub. Zur Not bleibt ja auch noch der Geflügelhof in Wattenscheid.

CHRISTOPH SCHURIAN