Schlimmer als eine nackte Lateinlehrerin

Die Dialektik der Nestbau-Apokalypse: Nichts bringt Beziehungen so sehr in Bedrängnis wie der Versuch, das gemeinsame Leben mit Möbeln voll zu stellen. Ein Pärchen-Ausflug zur neuen Ikea-Filiale am Sachsendamm

Ferien. Endlich alles tun, was man immer schon tun wollte: zur Moma-Ausse, die Schlange verhöhnen; in die Hasenheide, den Pfau aus dem Gehege grillen; und natürlich zum neuen Ikea am Sachsendamm – da gehen wir heute hin. Bloß gucken natürlich. Und vielleicht eine bunte Pappschachtel kaufen.

Vier Beine, zwei Geschlechter, ein Gedanke: Zahllose solcher Klebe-Sets der Liebe streifen mitsamt ihrem Gelege durch die Gänge und suchen nach geeigneten Ästchen, Grashalmen und Lehm, um sie später mit Hilfe von viel Spucke und dem Anbauregalystem „Bulschit“ zu einem gemütlichen Heim zusammenzufügen – „sie bauen sich ihr Nest“: eine dermaßen abtörnende Formulierung, dass ich sie manchmal verwende, wenn ich meine überbordende Libido ausbremsen möchte und der Gedanke an die nackte Lateinlehrerin nicht mehr genügt.

„Wie finnste denn das?“, fragt sie mich. „Mir egal“, zucke ich mit den Schultern, aber das ist nur die halbe Wahrheit – tatsächlich ist es mir scheißegal. „Und das hier?“ – „Scheiße.“ – „Und das?“ – „Noch scheißer.“ – „Ich hab oft das Gefühl, dass wir überhaupt nicht zueinander passen.“ – „Das habe ich allerdings auch.“ Wir bauen uns kein Nest – da muss man kein Prophet sein.

Die häufigsten Artikel sind Bücherregale, Bücherregale und noch mal Bücherregale. Und faszinierenderweise alle voll mit den gleichen aufwendigen Bänden mit dem schwedischen Titel „og for blöd“ oder so ähnlich, vollkommen nutzlos, weil sie hier eh keiner lesen kann, aber – ich sehe kurz nach – bedruckt sind die Seiten immerhin. Tausend solcher Bücher allein in dieser Nestbau-Filiale, tausend auch in jeder anderen zwischen Tempelhof und Taka-Tuka-Land. Ich erkenne die Möglichkeiten: Keiner liest den Schrott und der Autor ist dennoch ein gemachter Mann – mein Traum! Im Badezimmerschränkchen „Odin“ befinden sich das Gästehandtuch „Säxan“ und ein alter Kaugummi, wahrscheinlich „Gumme“. Ich stelle mir vor, wie sich vor Lachen auf dem kalten Zellenboden windende Insassen nordfinnischer Waldgefängnisse diese ganzen Namen erfinden. Auf dem Schlafsofa „Kramfors“ liegt der Schafspelz „Ludde“ und darauf wiederum wir, müde vom Rumlatschen. Schön bequem ist das. „Lass es uns gleich hier tun“, schlägt sie vor. „Auf Kramfors?“, kreische ich empört, „ich bin echt nur noch ein Objekt für dich.“ – „Ich hab doch bloß Spaß gemacht.“ – „Ich auch.“ – „Nein, du nicht.“ – „Dann du auch nicht.“ – „Leck mich.“ – „Selber.“

Fast alle Nestbauer streiten sich. Jetzt schon. Wie wird das erst später in ihrem Nest sein? Da wird dann das Korbdeckeltöpfchen „Gullarp“ von morgens bis abends an die Wand gepfeffert und dankt Thor dafür, dass es kein richtiges Geschirr ist.

Oben im Ikea-Restaurant: Das Essen ist so, na ja, wie man es sich halt vorstellt in einem Land, in dem es das ganze Jahr über durch das zerbrochene Küchenfenster in die Pfanne schneit, doch der Ausblick entschädigt doppelt und dreifach: Auf Rollwägen schieben zeternde Pärchen riesige Türme mit Nestbaumaterial in Schlangenlinien über den Parkplatz, laden damit ihre Kleinwagen bis zum Dach zu, quetschen die quengelnden Küken dazwischen und rangieren davon. Es macht großen Spaß zuzusehen, mit viel Glück könnte man einen Unfall sehen.

Wieder andere Leute haben keine Rollwagen, sondern schleppen fluchend Säcke voller Tinnef, bunter Pappschachteln und Bilderrahmen, die sie eigentlich gar nicht haben wollten. So wie wir. Unser einziger sinnvoller Kauf war der neue Eimergrill „Spacke“. Der Pfau kann sich schon mal warm anziehen.

ULI HANNEMANN