: Geschichte ist kein Spaß
Aus dem Lot: In Frankfurt inszeniert Peter Kastenmüller mit „Schwarz Gold Rot – Drei Teile Deutsch“ Texte von Heinrich Böll und Ulrich Peltzer
Mit den Nationalfarben ist das so eine Sache. Historisch gesehen sind sie oft fragwürdig. Als Flagge kopfüber gehängt bedeuten sie im internationalen Seeverkehr akute Not. Und in der Tagesschau rollen schon mal Köpfe, wenn sie in der falschen Reihenfolge projiziert werden.
Bei Peter Kastenmüller, einem deutschen Regisseur, hängt die Flagge nicht falsch. Genau genommen hängt sie gar nicht. Stattdessen dient die nationale Farbsymbolik der Strukturierung eines dreiteiligen Theaterabends, den Kastenmüller jetzt im Frankfurter Schauspiel inszeniert hat. Statt Schwarz-Rot-Gold gibt es dort allerdings „Schwarz Gold Rot“. Ganz offensichtlich ist da etwas aus dem Lot. Geht es an diesem Abend gar um Belgien und darum, subversiv die Zelebration von Gründungen, Auflösungen und Zusammenführungen dieses deutschen Jubiläumsjahres zu unterlaufen?
Nein, der Untertitel „Drei Teile Deutsch“ will nicht täuschen, es geht doch nur um Deutschland, vor allem das westliche, auch Bundesrepublik genannt. Dafür dürfen die Zuschauer zu zwei Seiten auf der großen Frankfurter Bühne Platz nehmen, in deren Mitte gespielt wird. „Schwarz – 1949: Happy Birthday oder: Wie werde ich Demokrat“ ist der erste Teil überschrieben: Als Affen verkleidete Menschen kommen hinter einer Glaswand hervor, ziehen ihre Masken ab und konsumieren fortan intensiv die alliiert finanzierten Umerziehungsfilme der Nachkriegszeit. Per Mitsprechen und Nachspielen erfolgt die Verinnerlichung der neuen demokratischen Prinzipien, nur ist das improvisierte Schauspiel mehr nervig als aufschlussreich, würde man doch lieber in Ruhe die filmischen Zeitdokumente betrachten.
Immerhin gibt es mit dem Lehrfilm „Das Gerücht“ einen Übergang zum zweiten Teil, der sich Heinrich Bölls „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ widmet, wo, wie man weiß, böse Gerüchte, gestreut von einer ominösen Zeitung, eine junge Frau zum Mord an einem schmierigen Journalisten bringen. Auf Kastenmüllers narrativer Farbskala ist diesem Teil Gold zugeordnet und in eben diesem erscheinen deshalb auch kurzzeitig die Stoffbahnen, mit denen die Bühne im Schnellumbau flächendeckend verkleidet wird, bevor das Ganze in gleißendes Rot umschwenkt. Neben der größtenteils epischen Darbietung und gelegentlichen schlagermusikalischen Ausbrüchen passiert dann allerdings nicht viel. Bölls Parabel auf die Hysterie des Gerüchts wirkt in Kastenmüllers Inszenierung so steif, dass man sich an den heimischen Fernseher wünscht, um die kongeniale Filmfassung von Volker Schlöndorff und Margarethe von Trotta einzulegen.
Das allgemeine Rumstehen und Aufsagen wird im dritten Teil durch Aktionismus abgelöst. Eigentlich ist diesem Teil die Farbe Rot zugedacht. Weil selbige aber schon zuvor symbolisch aufgebraucht wurde, gibt es nun Villa Kunterbunt: Der halbe Theaterfundus steht auf der Bühne, alles ist zugestellt mit Tischen, Stühlen, Betten, Sofas, Schränken und Computern – geordnete Bewegung zwecklos. Ein schönes Bild für den urbanen Dschungel anno 2003, durch den die Protagonisten frei nach Ulrich Peltzers Zeitroman „Teil der Lösung“ navigieren müssen.
Leider reicht dieser szenische Einfall von Michael Graessner nicht, um Kastenmüllers Bühnenversion von Peltzers Großstadtgeschichte irgendeine Vision zu verleihen. Nele, revolutionsaffine Literaturstudentin und längst im Visier des Staatsschutzes, und Christian, freier Journalist mit prekärer Lebenssituation und politisch brisantem Recherchethema, hüpfen im Frankfurter Schauspiel zwar wie Flummibälle durch die Gegend. Aber wo Peltzer Menschen in ihren beruflichen, politischen und emotionalen Desorientierungen zeigt, lässt Kastenmüller kostümierte Karikaturen aufmarschieren, denen man ohne Kenntnis des Romans kaum Sinn oder Bedeutung zuordnen kann.
Peltzers Perspektivsprünge, aus denen sich nach und nach ein bedrückendes, quasi panoptisches Gesamtbild ergibt, sind auch Kastenmüllers Stilprinzip, nur will in der theatralen Verkürzung nichts zusammenkommen. Dafür irritieren Videoeinspielungen vom sehr bewegten Wachsen der gemeinen Gartenkresse und die Filmmusik von Wong Kar-Wais „In the Mood for Love“, die man für alle Zeiten an Michael Thalheimers „Emilia Galotti“ verpachtet glaubte. Der Beliebigkeit der Zitate sind keine Grenzen gesetzt, der Irrelevanz auch nicht. Redlich mühen sich Kastenmüllers Schauspieler durch den Abend und man glaubt ihnen zumindest, dass die Auseinandersetzung mit deutscher Geschichte wirklich kein Spaß ist.
Eine ausreichende Erklärung für das vielfarbige Scheitern kann das aber allerdings nicht sein. Denn vor drei Jahren hat Armin Petras mit seinem Deutschlandprojekt an gleicher Stelle gezeigt, wie klug und gewitzt man die Materie stemmen kann, an der sich Peter Kastenmüller jetzt so gründlich verhoben hat.
KRISTIN BECKER
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