Homo-Lehrpläne werden nicht umgesetzt

Alle Bundesländer haben in ihren Lehrplänen das Thema Homosexualität. Was in den Richtlinien steht und was die Pädagogen im Unterricht tatsächlich machen, ist aber zweierlei. Die Vorurteile von SchülerInnen über Schwule und Lesben sind massiv

VON FLORIAN HOLLENBACH
UND CHRISTIAN FÜLLER

Wenn es ums Schwulsein geht, sieht man im Südwesten den Zeigefinger geradezu hochschnellen. Der Lehrplan kündigt das Thema in der Rubrik „Problemfelder der Sexualität“ an. Und gibt den entscheidenden Hinweis für Lehrer, was an die Schüler im Unterricht zu Homosexualität zu vermitteln sei: „Solidarität mit den Betroffenen“.

Die Passage findet sich nicht etwa im Fach „Sexualkunde“, sondern im Lehrplan für Katholische Religionslehre der Gymnasien. Baden-Württemberg ist allerdings nicht die Regel, sondern eine Art südlicher Ausreißer. Lediglich in Bayern und seinem schwäbisch-badischen Nachbarland versuchen die Kultusministerien dem Schwul- oder Lesbischsein durch ein Versteckspiel in Curricula und Schulbüchern zu entkommen. Tatsächlich kann in allen Bundesländern jede Lehrkraft Homosexualität behandeln – in jedem Fach. Zu diesem Schluss kommt die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), die quer durch die deutschen Provinzen Unterrichtsmaterialien und -vorschriften durchforstet hat.

Das Ergebnis der GEW ist beruhigend und aufregend zugleich. Denn die Lehrpläne halten durch allgemeine Vorschriften den Lehrern den Rücken für das vermeintlich heikle Thema frei. Aber das scheint oftmals Ergebnis einer eher defensiven Haltung zu sein. Es geht darum, die Pädagogen davor zu schützen, dass prüde Eltern wegen der Ansprache schwullesbischer Lebens- und Liebesweisen juristisch gegen sie vorgehen.

So weit wie Hamburg oder Schleswig-Holstein jedenfalls sind längst nicht alle Bundesländer. Die Hansestadt etwa hat erst im vergangenen Dezember die Broschüre „Gleichgeschlechtliche Beziehungen“ in die Schulen gebracht. Das ist eine offizielle Handreichung und eine Verpflichtung für die Lehrer, das Thema in verschiedenen Fächern anzusprechen. In Biologie sollen die sexuellen Fakten rüberkommen. Geschichte soll deutlich machen, welchen Diskriminierungen Schwule von jeher ausgesetzt waren. Und Deutsch kann dazu dienen, den Schülern die Wege deutlich zu machen, die Menschen auf der Suche nach ihrer Sexualität gehen. Der Landauer Sexualwissenschaftler Norbert Kluge sieht Hamburg auf dem richtigen Weg: „Es geht zunächst einmal darum aufzuklären – und dazu gehören nicht nur die biologischen Fakten, sondern auch die sozialpsychologischen Fragen von Sexualität.“

Kluge weiß auch, wo die eigentliche Problemzone liegt: Im Verhalten der Lehrer. „Gerade Homosexualität ist doch ein Thema, wo die Pädagogen gerne kneifen – egal, ob das Thema im Lehrplan vorkommt.“ Die Gründe für den Absentismus der Lehrer kennt auch Kluge nicht. Beim Lesben- und Schwulenverband in Köln spekuliert man, dass die Lehrer Angst vor den Eltern haben – und davor, dass die Schüler sie selbst als schwul brandmarken könnten.

Die Vorurteile von SchülerInnen, gerade in der Zeit vor und um die Pubertät, sind offenbar massiv. Eine kleine empirische Studie der Berliner Andreas-Oberschule (unter 850 Schülern) brachte erschreckende Ergebnisse: Ein Viertel der Kids hielten Schwulsein für einen genetischen Defekt, 80 Prozent meinten, schwul oder lesbisch werde man durch Misserfolg in der Liebe. 10 Prozent kamen auf die Idee, Homos seien zu ihrer Lebensform verführt worden.

Die Berliner Studie, die 45 SchülerInnen in einem Unterrichtsprojekt durchführten, beweist zweierlei: Zu welch spannenden Projekten Schulen außerhalb des Lehrplans fähig sind. Und wie reserviert Lehrer bei Homosexualität sind. Nur 11 Prozent der Pädagogen beantworteten die Fragen der Schüler.

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