Das seltsame Geständnis des Günther K.

Ein Steuerberater ist tot. Die Polizei vermutet einen Raubmord. Der Schauspieler Günther Kaufmann gesteht und sitzt fast zweieinhalb Jahre in Haft. Er log. Aus Liebe? Um seine Frau zu schützen? Heute steht fest: Andere Männer haben den Steuerberater umgebracht. Doch Günther Kaufmann schweigt

Er hat abgenommen. Gut 20 Kilo haben ihn die 29 Monate hinter Gittern gekostetDie Motivation Kaufmanns für sein falsches Geständnis bleibt ein Rätsel

von CORINA NIEBUHR

„Wie sollte ich wissen, dass der plötzlich nicht mehr schnauft?“ Günther Kaufmann sagt es laut und reißt die Arme gen Himmel. Sekunden später hat sich der aus Fassbinder-Filmen, Fernsehen und Klatschzeitungen bekannte Schauspieler wieder im Griff. Mit vor der Brust verschränken Armen steht er breitbeinig im Kultursaal der Justizvollzugsanstalt (JVA) Tegel. Eben noch hat Kaufmann dort mit anderen Häftlingen für Besucher von draußen und Mitinsassen Theater gespielt. Ein düsteres Stück über Begierde und Macht. Darin springt Kaufmann von einer Öltonne auf die Bühne. Er hat abgenommen. Gut 20 Kilo haben ihn die 29 Monate hinter Gittern gekostet. Ein Gewinn für den zur Tatzeit schwer übergewichtigen Schauspieler.

Es ist der 9. Mai. Nein, wirklich, die Sache sei tragisch ausgegangen, beteuert der 56-Jährige Kaufmann. Er habe seinen Steuerberater nicht töten wollen, es sei im Streit passiert. „Ich würde aber lügen, wenn ich sagte, dass ich mir jetzt die Freiheit zurückwünsche.“ Wegen ihm sei ein Mann tot und dafür müsse er büßen. Kaufmann lächelt, sieht fast glücklich aus. Woher er denn seinen Optimismus nehme? Er will es nicht verraten. „Das ist mein Geheimnis.“

Heute, gut drei Monate später, könnte die Antwort „Aus meiner Unschuld“ lauten. Günther Kaufmann hat den Täter nur gemimt, aller Welt etwas vorgespielt.

Der Münchner Oberstaatsanwalt Peter Boie spricht seit Montag davon, dass Kaufmann „die Tat so nicht begangen habe“. Drei Männer aus Berlin sollen stattdessen schuldig sein. Damit liest sich der gewalttätige Tod des Hartmut Hagen immer mehr wie ein spannender Krimi: Ein prominenter Schauspieler lebt mit einer Frau zusammen, die er über alles liebt und die unheilbar an Krebs erkrankt. Beide belügen einen Bekannten, um an Geld zu kommen. Es geht um ihr restliches Leben und um 400.000 Euro. Der Bekannte bemerkt den Betrug und liegt alsbald tot in seiner Wohnung. Die Polizei vermutet Raubmord.

Dann verstrickt sich der Schauspieler bei Zeugenaussagen in Widersprüche. Seine Fingerabdrücke sind am Tatort. Er gesteht die Tat und bekommt 15 Jahre Haft. Plötzlich tauchen neue Verdächtige auf. Eine Frau verpfeift neun Monate nach Kaufmanns Urteil ihren Freund bei der Berliner Polizei: Er habe mit dem Tod des Münchners zu tun. Der bis dato Unbekannte wird schnell verhaftet, gesteht und nennt zwei Mittäter. Beim Fesseln sei das Opfer unbeabsichtigt getötet worden, sagen sie aus. Und noch etwas: Die krebskranke Frau, Kaufmanns Frau, habe sie geschickt. Einer der Täter soll ihr Liebhaber gewesen sein. Den Schauspieler dagegen belasten sie nicht.

Warum aber hat Günther Kaufmann die Tat auf sich genommen, für die er nun fast zweieinhalb Jahre inklusive Untersuchungshaft eingesperrt ist? Selbst wenn er seine Frau schützen wollte – sie war bei Prozessbeginn bereits verstorben. Spekulationen, Kaufmanns Kinder aus erster Ehe seien vielleicht bedroht worden, bestätigte bisher niemand. Auch Günther Kaufmann nicht, der gestern von seinem Münchner Anwalt Steffen Ufer und von seinem Berliner Anwalt Nikolaus Köhler in der JVA Besuch bekam und sich so erstmals zu den aktuellen Ereignissen äußern konnte.

Mit Spannung erwartete die Presse Kaufmanns Antworten. Es war 15 Uhr, als die Anwälte das Gefängnis durch das Haupttor verließen und vor die Mikrofone traten.

Doch statt über Kaufmanns Befinden und seine Gründe für sein falsches Geständnis zu informieren, kündigten sie an, dass sie den Schauspieler wohl nicht mehr weiter vertreten werden. „Wir haben in den Grundbedingungen keinen gemeinsamen Nenner gefunden“, sagte Rechtsanwalt Nikolaus Köhler. Beide stritten ab, dass es an ihren Honoraren liegen könnte, die Günther Kaufmann vielleicht nicht bezahlen kann. „Er hat bereits zahlreiche Interviewangebote bekommen, die diese Beträge bei weitem decken würden“, kommentiert Steffen Ufer diesen Punkt. Nein, es sei vielmehr so, dass ihm andere Berater „einen Floh ins Ohr“ gesetzt hätten. Schließlich sei der Fall interessant, lukrativ und prestigeträchtig. Der Schauspieler sei halt leicht zu beeinflussen, so Ufer. Vielleicht hätte auch genau dies seine Frau geschafft und ihn zu dem falschen Geständnis gedrängt.

Der Anwalt mutmaßt und lässt keinen Zweifel daran, dass er über Kaufmann verärgert ist. Dann schlägt er doch wieder sanftere Töne an. Dass der Schauspieler nach dem Tod seiner Frau beim Prozess nicht mehr die Wahrheit sagen konnte, sei verständlich: „Eine Tote zu belasten hätte schäbig ausgesehen – und er wäre sicher zu lebenslanger Haft verurteilt worden.“ Die Geschichte mit dem „großen Unbekannten“ hätte ihm einfach keiner mehr abgenommen. Wie es Kaufmann denn derzeit gehe? Beide Anwälte antworten spärlich: „Gut.“

Damit bleibt die Motivation Günther Kaufmanns für sein falsches Geständnis weiter ein Rätsel. Sicher sei sie emotional und irrational gewesen, sagt Anwalt Ufer. Schon während des Prozesses habe der Schauspieler ihn nicht in alle Details eingeweiht, was den Anwalt immer noch ärgert. Dann kündigt er an, dass Kaufmann in vier bis sechs Wochen draußen sein werde – egal, wer ihn vertrete.

Bis dahin muss Kaufmann auf dem „Planet Tegel“ ausharren, wie die Gefangenen ihre Zwangsheimat nennen. Als bekanntes Gesicht hat der Schauspieler dort nach seiner Verlegung nach Berlin im Frühjahr gleich ein paar Etagen in der Anstaltshierarchie übersprungen. Das sehen einige Häftlinge nicht gerne. Er darf sofort in der Bibliothek arbeiten, was ihm sehr entgegenkommt: „Ich liebe es, mit Büchern umzugehen.“ Mancher muss dafür lange kämpfen. Einer, der schon elf Jahre sitzt und es gut mit Kaufmann meint, beschreibt ihn als „gefährdete Person“. Stars lebten auf diesem Planeten eben gefährlich. Wer sich zu lange überlegen fühle, könne schnell mehr als das Gesicht verlieren.

Und Kaufmann scheint dies zu wissen. Während der Proben für das Theaterstück „Einsatz – Ihr seid im toten Winkel“ im Mai verhielt er sich den anderen Darstellern – alles Laien – gegenüber äußerst kollegial. Freundlich und überhaupt nicht überheblich sei er, sagen alle.

Bei den Proben hat der Profi ihnen Tipps gegeben. Für ihn selbst war das Stück mit Texten von Bernard-Marie Koltès, Tschingis Aitmatow und Bertolt Brecht ebenfalls eine Herausforderung: „Ich wusste gar nicht, ob ich das mit dem vielen Text noch kann.“ Und ob er kann. Regisseur Peter Atanassow lobte ihn in den höchsten Tönen. Noch nie habe er jemanden so schnell Regieanweisungen umsetzen sehen, „ein absoluter Profi.“

Kaufmann spielte die Hauptrolle, übernahm schwere Textpassagen, die der Regisseur sonst hätte streichen müssen. Kaufmann war das Alphatier, der bleierne Mittelpunkt des Ensembles. Am Ende beherrschten seine Worte den dunkel dekorierten Raum: Ja, er wolle gestehen, ruft er von der Öltonne, da er keine Hoffnung mehr habe. Bloß die Blinden redeten von einem Ausweg. Er aber, er sehe.