Die Klammer ist die Klammer des Ganzen

In Berlin-Kreuzberg fand die erste „Lange Nacht der Steuern“ statt. Ein Erfolg scheint nicht ausgeschlossen

Ob die erste „Lange Nacht der Steuern“ ein Erfolg war, darüber streitet man nach der Auftaktveranstaltung nicht nur in Berlin-Kreuzberg, sondern auch anderswo. „Zu viel“, meinen die einen, „gelungen und ein Abbild der Realität“ die anderen.

Der objektive Betrachter mag sich keinem der beiden Urteile vorschnell anschließen. Sicherlich musste nach den bisherigen so genannten „Langen Nächten“ von Museen, Galerien und gar Bibliotheken auch einmal eine „Lange Nacht der Steuern“ erfolgen. Das Konzept der Inszenierung erschloss sich jedoch nicht sofort, sondern eher unter großen Mühen – obwohl sich diese der Veranstalter eindeutig gemacht hatte.

Dies symbolisierte auch ein beeindruckender Turm aus Schuhkartons, der gleich am Eingang zu der Ausstellung aufgebaut war. Leider aber fehlte fortan jedwede Orientierungshilfe für den interessierten Besucher. In welcher Reihenfolge die Exponate abzuschreiten waren, sollte ihm offensichtlich selbst überlassen sein. Instinktiv wendet sich der auf Neutralität achtende Kritiker daher zunächst nach links, wo ihn wenige Schritte innerhalb eines karg ausgestatteten Raumes zu einem Tisch führen, der mit am ehesten noch kreisförmig angeordnet zu nennenden diversen kleinen Papierstapeln belegt ist, die wiederum auf weißem Kopierpapier lagern. „München“ sind diese großen Zettel beschriftet, „Dortmund“ oder „Leipzig“. Darauf eben jene Stapel: Fahrkarten des öffentlichen Nah- sowie Fernverkehrs, allerdings säuberlich getrennt, Restaurantquittungen und Hotelrechnungen. Alles der Größe nach aufgeschichtet, quasi pyramidal, und jeweils durch Büroklammern zusammengehalten. So hart dies klingen mag: Welche Botschaft sich hinter dieser Anordnung verbirgt, wird in diesem Moment nicht deutlich und muss die Frage aufwerfen, ob hier bewusst und nach Plan gearbeitet wurde.

An anderer Stelle dagegen scheint das Kuratorium äußerst durchdacht vorgegangen zu sein. Auf einem weiteren, auf volle Länge ausgezogenen Tisch lädt ein schachbrettmusterorientiertes Ensemble zum Verweilen. Rechnungen und Auftragsbestätigungen sind hier knapp auf Kante geschichtet und verklammert. Gelbe Selbstklebeetiketten weisen auf den Ursprung der ausgestellten Stücke hin – beschriftet mit für den uneingeweihten Zaungast undechiffrierbaren Kürzeln, voller Kraft aber für den auseinandersetzungsfähigen Kenner, denn hinter der Kennzeichnung „FR5“ führt ein Pfeil (originell: Filzstift auf Kopierpapier) direkt zu einem locker drapierten Haufen von Fahrkarten des öffentlichen Nah- sowie Fernverkehrs, Taxi- und Restaurantquittungen sowie Hotelrechnungen.

In der Sprache des Sports würde man nun einen Ausgleich erkennen, doch im letzten der Präsentationsräume kommt es, um im Bild zu bleiben, erneut zu einem Unentschieden. Zwar sind da einerseits klare Objekte wie „Kontoauszüge“, „Büromaterial“ und „Telefonrechnungen“ zu sehen – andererseits lenken die wirr angeordneten Exponate auf dem Fußboden vom Gesamteindruck ab, lieblos betitelt mit „Einordnen!“ bzw. „???“, und noch dazu mit leeren Marmeladegläsern beschwert. Der Sinn der hier wiederum eingesetzten Klammern erschließt sich eindeutig nicht.

Fazit: Die erste „Lange Nacht der Steuern“ lässt den erfahrenen Kulturbeobachter ahnen, dass in dieser hoffentlich weiter geführten Reihe weitaus mehr Potenzial steckt, als der Veranstalter sich zutraut. Dem neugierigen, vorgebildeten Flaneur, wie er wohl reichlich unter unseren Lesern zu finden ist, sind indes unnötige Grenzen gesteckt; mag die Klammer noch so sehr die Klammer sein. Eine zügige Nachbearbeitung der „Langen Nacht der Steuern“, womöglich unter Einbeziehung von externen Kräften, wäre sicherlich nicht verkehrt. CAROLA RÖNNEBURG