robin alexander über Schicksal
: Frauen schlagen Männer

Körperliche Gewalt in Beziehungen ist out, Gesellschaftsspiele sind in

Neulich waren wir zu einer Einweihung eingeladen. Meine Schwester und ihr frisch geheirateter Mann sind umgezogen und präsentieren uns nun stolz den drei mal sechs Meter großen Balkon. Fast eine Veranda. Toll.

Nach diesem Befund sind fünf Minuten vergangen, und es ist noch eine ganze Menge Abend übrig. „Wir können doch ein Gesellschaftsspiel spielen“, schlägt meine Schwester vor, und ihre Augen blitzen. Ihr Mann sieht plötzlich gar nicht mehr frisch aus. Auch ich erbleiche.

„Wir könnten doch stattdessen auch, äh, Bier trinken und nur so reden oder, hm, vielleicht, hm, Flipse knabbern.“

„Das kann man alles auch beim Spielen“, meint meine Schwester und holt, als habe sie nur auf ein Stichwort gewartet, Bier, Erdnussflips und eine bunt bedruckte Pappkiste hervor: „Abenteuer Menschheit“, ein Brettspiel, das in Zusammenarbeit mit der Wissenschaftsredaktion des Stern entstand. Als Urmensch in Afrika jagen die Spieler Fleisch, gerben Felle und schlagen Feuerstein, um zum Indogermanen aufzusteigen und später sogar zum Asiaten. Mein Schwager und ich unternehmen letzte, verzweifelte Ausbruchsversuche:

„Das ist uns zu kompliziert.“

„Dummstellen gilt nicht!“

„Das ist doch rassistisch. Dieses Spiel diskriminiert Afrikaner. Ein Skandal, das ein angeblich linksliberales Magazin so etwas vertreibt.“

„Schlaustellen gilt auch nicht!“

Gesellschaftsspiele und Erdnussflips auf dem Balkon – ein aufregendes Leben, denkt spätestens an dieser Stelle jeder Leser. Falsch gedacht! Gesellschaftsspiele sind vielleicht spießig, aber keinesfalls harmlos. Sie sind symbolische Darstellungen von Leidenschaft und Verrat. Gesellschaftsspiele sind kleine Shakespeare-Dramen für zu Hause. Beliebte Spiele simulieren Krieg („Risiko“), Kapitalismus („Monopoly“) oder Beziehungen (dazu später mehr).

In den finsteren Zeiten, als Frauen noch an Kirche, Küche, Kinder gefesselt waren, hatten sie bei Spielen im Familienkreis eine klare Aufgabe: Sie achteten darauf, dass beim „Mensch, ärgere dich nicht“ das kleinste Geschwisterkind nicht untergebuttert wurde. Heute spielen Frauen selbst mit – und zwar gegen ihren Mann. Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass ältere Spiele immer erst ab drei Mitspielern funktionieren? Das war dem grundgesetzlich garantierten Schutz der Ehe geschuldet. Längst hat die skrupellose Spieleindustrie jedoch auch diese letzte Hemmung fallen lassen. Sie schleudert neuerdings massig „Spiele für zwei“ auf den Markt. Partner, die im Alltag behaupten, sich zu mögen, können sich als „Richelieu und Katharina von Medici“ (Ravensburger-Verlag, 11 Euro), „Caesar und Kleopatra“ (Kosmos, 6 Euro) oder sogar „Feuer und Wasser“ (Klee-Spiele, 8 Euro) bekämpfen. Das Prinzip ist immer das gleiche: Frauen gegen Männer. Und die Siegerin steht auch fest. Nach einer repräsentativen Umfrage in meinem Freundeskreis geben 3 von 5 befragten Männern an, ihre Freundin oder Frau sei cleverer als sie. 4 von 5 meinen, ihre Partnerin sei ehrgeiziger. Und von 5 von 5 geben an, bei Gesellschaftsspielen ständig gegen sie zu verlieren. Frau schlägt Mann – das gilt bei jedem Paar. Den umgekehrten Satz kennt man nur aus dem Polizeibericht in der Zeitung. Besonders perfide ist die am antiken Streit der griechischen Götter Zeus und Hera angelehnte Spielidee von „Blitz und Donner“ (Kosmos, 12 Euro): Sie versucht ihn mit Gewalt und Intrigen davon abzuhalten, sich eine Geliebte zu nehmen. In diesem Spiel sollten Männer auf jeden Fall nicht zu viel Ehrgeiz offenbaren.

Bei der Stern-gesponserten Evolution auf dem Balkon ist das Problem: Hier wollen zwei Frauen gewinnen. Die Indogermanin mit reichlich Fellen bekämpft die Chinesin an der Feuersteinquelle. Wir männlichen Mitspieler sind abgeschlagen, müssen aber weiterwürfeln. Immer weiterwürfeln. So werden die Karriere- und Verteilungskämpfe der Zukunft aussehen: Die Mädels prügeln sich um den Aufstieg, während wir zuschauen und Bier trinken. Als meine Schwester spät in der Nacht schließlich mit zwölf zu elf Siegpunkten über meine Freundin triumphiert, hat ihr Mann (vier Siegpunkte), um sich wach zu halten, auf einem von einer Bierflasche abgelösten Etikett in sehr kleiner Schrift bewiesen, dass es für x[n] + y[n] = z[n]tatsächlich keine ganzzahligen Lösungen gibt, sobald n größer als 2 wird. Ich (drei Siegpunkte) habe derweil ein kleines Mammut aus Erdnussflips und Spucke geformt, eine Liste mit Bekannten angelegt, die ich überreden werde, ihr Stern-Abo zu kündigen, und den Glauben an die Darwin’sche Evolutionstheorie und den Fortschritt endgültig verloren.

Was symbolisieren Skat und Kniffeln?kolumne@taz.de