Offensives Doping mit System

Eine wissenschaftliche Studie befasst sich mit dem systematischem Doping im Leistungssport. Besonders Leichtathleten sind auffällig. Die Universitätt Witten/Herdecke startet mit diesem Thema ihre Forschungsinitiative

WITTEN taz ■ „Doping liegt im System des Leistungssports begründet.“ Zu diesem Ergebnis kommen Alexander Dilger (Universität Münster) und Frank Tolsdorf (Universität Witten/Herdecke) in zwei Studien, die sich mit dem systematischen und verordneten Doping speziell im Bereich der Leichtathletik befassen. Neben einer allgemeinen empirischen Untersuchung zu dem gerade im Vorfeld der olympischen Spiele hoch sensiblen Thema befassen sich die beiden Wissenschaftler speziell mit den Karriereverläufen und dem Doping von 100-Meter-Läufern. „Häufig wird Doping als individuelles Fehlverhalten von einigen wenigen moralisch zweifelhaften Sportlern dargestellt“, heißt es in der Studie. Es soll „jedoch herausgearbeitet werden, dass es systematische, in der Organisation des sportlichen Wettbewerbs und der diesen begleitenden Medien, Werbung, staatliche Förderung etc. liegende Anreize und Selektionsmechanismen gibt.“ Der Beitrag zum Thema Doping bildet den Auftakt zur so genannten „Forschungsoffensive“ der Universität Witten/Herdecke. Die Serie ist auf ein Dutzend Folgen angelegt und befasst sich bis Ende September mit diversen gesellschaftlichen Themen.

Die Wirtschaftswissenschaftler untersuchten für ihre Studie insgesamt 154 Fälle nachgewiesenen Dopingmissbrauchs in insgesamt zwölf Leichtathletik-Disziplinen der Jahre 1999 bis 2003. Unter den positiv getesteten Athleten befanden sich fünf Weltrekordler, sechs Olympiasieger, elf Weltmeister, acht Kontinentalrekordler, acht Kontinentalmeister, 24 Nationalrekordler und elf Nationalmeister: „Die Liste mit den des Dopings überführten bzw. verdächtigten Athleten liest sich wie das „Who is Who“ der Sportszene“, erklärt Frank Tolsdorf. Neben den überführten Dopingsündern Tim Montgomery (Weltrekordhalter über 100-Meter), Kelli White (zweifache Sprint-Weltmeisterin) und David Millar (Zeitfahr-Weltmeister), steht auch Marion Jones (fünffache Medaillengewinnerin bei den Olympischen Spielen 2000 in Sydney) unter Verdacht, illegale und leistungssteigernde Präparate benutzt zu haben. Die Ermittler setzten im Fall von Marion Jones oder Kelly White auf Unterlagen, welche die Finanzbehörden in einem Steuerstrafverfahren gegen das kalifornische Dopinglabor Balco beschlagnahmten. „Die Veröffentlichungen der Daten bewegt die gesamte Szene“, sagt Tolsdorf.

Eine Tendenz zu häufigerem und stärkerem Dopings Häufigkeit sei dabei nicht zu erkennen, so Tolsdorf. „Seit der Wende im Ostblock, wo das systematische Doping perfektioniert wurde, bleiben die Zahlen konstant.“ Gedopt werde vor allem dort, wo die Leistungsdichte besonders hoch ist. Wo es um minimale Unterschiede geht, kann der Vorsprung durch Doping entscheidend sein. „Die Mittelstrecken und der 100-Meter-Lauf sind überproportional betroffen“, sagt Tolsdorf. Gerade in der kurzen Sprintdisziplin lässt sich die Leistungssteigerung durch Doping anhand der empirischen Fünf-Jahres-Studie sehr gut verfolgen. Als gedopt erwischte Läufer fielen durch eine größere Konstanz und extreme Verbesserungen der Laufzeiten gegenüber den Jahren auf, in denen sie nicht erwischt wurden. „Insgesamt lässt sich die gewagte These, dass (fast) alle Spitzenathleten gedopt sind, mit dem vorliegenden Datenmaterial weder widerlegen noch bestätigen“, lautet das Resümee.

Eine Zusammenarbeit der Wissenschaftler mit den verschiedenen Sportverbänden hat nicht funktioniert. „Die Verbände wollen, dass ihr Sport sauber bleibt“, sagt Frank Tolsdorf. Die Funktionäre versuchten lieber, Fälle zu vertuschen, als bei deren Aufklärung zu helfen. „Wo der Kampf um staatliche Förderungsmittel oder Werbeverträge tobt, ist der Eindruck des sauberen Sports wichtig.“ Zahlen für den Radsport seien zum Beispiel gar nicht zu bekommen.

HOLGER PAULER