Drei Tage blau

Beim „Festival Maritim“ in Vegesack verhelfen Shanty-Bands aus der ganzen Welt am Wochende einem alten Bremen-Klischee zu neuem Glanz

Die Shanty-Band aus Ungarn liefert den Beweis: „Maritim“ geht auch ohne Meer

Bremen liegt am Meer. Zumindest glauben das viele Menschen aus dem Süden, die bei Bremen hartnäckig an würzige Brise, ausgedehnte Hafenrundfahrten und spontane Wattwanderungen denken. In Bremen regnet‘s immer, und außerdem ist Bremen im Bewusstsein tausender bajuwarischer Fußball-Fans grün und stinkt nach Fisch. Dabei gibt es in Bremen keinen Seehafen mehr, und eine Stadt ohne Seehafen ist keine Hafenstadt.

Dennoch: An drei Tagen im Jahr trifft die touristische Wunschvorstellung von weiter Welt und singenden Seemännern voll zu. Beim „Festival Maritim“ in Vegesack, das zum sechsten Mal stattfindet und von Freitag bis Sonntag dauert, kommen insgesamt 35 Shanty-Bands, Seemanns- und „Piraten“-Chöre mit so klangvollen Namen wie „Hart Backbord“, „Maritim-Chor Ebbe und Flut“ und „Nelson‘s Blood“ zusammen. Dazu gibt es Kutterpullen, Schiffsdisco, eine Ausstellung „Von Heringen und anderen tollen Hechten“ und einen Piratenfilm zu sehen. „Das Klischee wird bedient“, so Meike Lukas von der Bremer Touristik Zentrale, „und das ist auch gut so“.

Die Musiker reisen aus Deutschland, England, Frankreich, den skandinavischen Ländern und Australien an. Erstmals sind auch junge Shanty-Bands aus Polen, und, tatsächlich, aus dem total unmaritimen Ungarn geladen. „M.E.Z“, wie sich die ungarische Formation nennt, spielen „hauptsächlich unbekannte schottische und irische Folkmusik“ – und liefern damit den Beweis: „Maritim“ geht auch ohne Meer.

Ganz authentisch sind dagegen die Gesänge der Bremer Seemannschöre. Von den Sängern seien einige früher selbst zur See gefahren, so Klaus Rimbach, Vereinsleiter des Shanty-Chors Mahndorf. Unter den 46 Mitgliedern sind von Beginn an auch Frauen gewesen, aber „wir haben die Anzahl auf 12 begrenzt, weil die weiblichen Stimmen sonst doch dominieren würden.“ Um das maritime Flair von Bremen sorgt sich Rimbach schon weniger: Schließlich ist Bremen mit seinen rund zehn Shanty-Chören eine Hochburg für maritime Melodien.

Abseits der Musikbühnen will das Festival mit Ausstellungen und Filmen an die Zeit erinnern, als im Vegesacker Hafen noch eine der größten Heringsfangflotten Europas beheimatet war. Unter dem Titel „Heringe und andere tolle Hechte“ präsentiert das Schönebecker Schloss auf dem „Vegesacker Balkon“ eine Sammlung von Exponaten aus dieser Epoche – von den Fassstoppeln, die die Matrosen als Strafarbeit schnitzen mussten, bis hin zu den handgeknüpften Fischernetzen der „Netzmädchen“, die auch manchen Seemann umgarnt haben. Wie der Alltag auf See heute aussieht, erfährt man im Dokumentarfilm der Uni Bremen „A world apart. Seafaring in the 21st century“. Wer aber lieber Romantik als Realismus sehen will, kann sich den Hollywood-Schinken „Master and Commander“ mit Russel Crowe im Open-Air-Kino anschauen.

Auch landschaftlich will Vegesack in diesen Tagen maritim sein. Ist schon kein Meer in Sicht, so werden im Rahmen des künstlerischen Projekts „Blau“ immerhin die Parkbäume in die Farbe des Meeres gehüllt. Nach ein paar Gläsern Grog ist der Unterschied ja auch kaum mehr zu merken. Sibylle Schmidt

„Festival Maritim“, 6.-8. August, Bremen-Vegesack. Infos und Programm unter www.festival-maritim.de