Makelloser Kitsch

Die ARD erzählt mit „Ich will laufen!“ (20.15 Uhr) den Dopingfall Dieter Baumann – und scheitert am Pathos

Gut oder böse – so ist sie, die Welt im Film. Da sind die fiesen Typen mit dem verschlagenen Blick, ihnen gegenüber stehen die Lichtgestalten, die so sehr von den fiesen Typen eingeschenkt kriegen, dass sie an sich zweifeln, obwohl sie doch zweifelsohne makellos sind. Dieter Baumann zählt in dem ARD-Spielfilm über die Dopingaffäre des Langstreckenläufers zur zweiten Kategorie. „Ich will laufen!“ heißt die SWR-Produktion wenig subtil und das Opfer Baumann ist umringt von Menschen der Kategorie eins: von Konkurrenten ohne Moral, von intrigantem Hauspersonal und eitlen Funktionären, vom Schlechten eben.

90 Minuten lang zeichnet Regisseur Diethard Klante das Bild eines Mannes, der sich mit seiner streitbaren Unbescholtenheit in einen handfesten Verfolgungswahn hineinsteigert. Zur Erinnerung: Dieter Baumann, „weißer Kenianer“ genannt, hat 1992 olympisches Gold über 5.000 Meter gewonnen, sofort die Rolle des wichtigsten Anti-Doping-Kämpfers der Leichtathletik- Szene übernommen und angeblich sieben Jahre später illegale Substanzen geschluckt. Diesen Skandal leuchtet der Spielfilm aus. Und scheitert.

Nicht, dass alles schlecht wäre. Hans-Werner Meyer gibt einen guten Baumann. Die Mischung aus Doku und Fiction ist oft spannend, und einen Einblick in einen veritablen Sportskandal bietet sie allemal. Wäre da nicht das dauernde Pathos, das Ausblenden jeden Ruchs am Hauptdarsteller, die stete Weichzeichnung, die offene Nachverurteilung aktenkundig Unschuldiger wie Mitläufer Stephane Franke. Da schaut Sophie Rois als Baumanns Gattin unentwegt wie kriegstraumatisiert aus der Wäsche. Da guckt ein Chemiker nach der Entdeckung des Nandrolons in der Zahnpasta wie Dr. Watson bei der Entdeckung der Doppelhelix. Da schwulstelt Dieter nach dem Training mit lachenden Eingeborenen „Wenn’s an Gott gibt, isch er Kenianer“ und seine Gattin pflichtet arielrein „und Läufer“ bei.

Mit Verlaub: Das ist Fünfzigerjahrekitsch ohne Alpenpanorama. Unterhaltsam zwar und leidlich authentisch, aber fahl. So fahl, dass der echte Baumann seinen Einfluss kleinredet. „Ich hab mit dem Film gar nichts zu tun“, sagt er. Und seine Darstellung? „Das ist ein Schauspieler, der sich dieser Figur annähert.“ Künstlerische Freiheit, findet Baumann. Er habe Gespräche geführt, Unterlagen und sein Buch „Lebenslauf“ zur Verfügung gestellt – „das war’s schon“. Klingt nicht nach einer Liebesbeziehung.

Er habe sich lange gegen das Projekt gewehrt, als die Idee zu einem Spielfilm vor zwei Jahren an ihn herangetragen wurde. „Wenn es dein Lebensglück erhöht“, habe er aber letztlich zum Regisseur gesagt, „machen wir’s eben.“ Aus filmästhetischer Sicht hätte er es besser sein lassen sollen. Die Fans indes werden es ihm danken, der Boulevard sowieso. Nichts birgt schließlich mehr dramaturgisches Potenzial als die Rückkehr gefallener Helden. Und kaum ein Thema eignet sich besser zum Product-Placement als Sport. Ich will laufen! Und zwar in Asics. Oder war’s Puma? JAN FREITAG