Von Konterrevolutionären zu Melkkühen

Vietnams Kommunistische Partei will das wirtschaftliche Potenzial der 2,7 Millionen Landsleute im Ausland stärkerfür sich nutzen und sie politisch enger an die alte Heimat binden. Für Unwillige kann das zu Sanktionen führen

BERLIN taz ■ Vietnams Kommunistische Partei will die Auslandsvietnamesen enger an sich binden. Der „Gemeinschaftssinn“ der offiziell 2,7 Millionen Landsleute im Ausland soll gestärkt werden, so dass sie „einen Beitrag zum Aufbau der Heimat leisten“, beschloss das Politbüro bereits im März. Achtzig Prozent der Auslandsvietnamesen, zu denen die KP-Führung auch diejenigen zählt, die die vietnamesische Staatsbürgerschaft abgelegt haben, leben in Industrieländern wie den USA, Frankreich, Australien, Kanada und Deutschland.

Die oft blumigen Appelle an den Gemeinschaftssinn schließen Sanktionen für diejenigen ein, die sich „außerhalb stellen“. So erging es im Juli einem Vietnamesen in Niedersachsen, der politische Flüchtlinge ehrenamtlich beraten hatte. Ihm wurde die Einreise nach Vietnam verweigert, berichtet Vu Quoc Dung von der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte.

Zwei Milliarden US-Dollar überweisen die Auslandsvietnamesen jährlich in die alte Heimat. Das ist doppelt so viel, wie Hanoi an Entwicklungshilfe erhält. Diese Zahlen flimmern allabendlich über die Bildschirme des vietnamesischen Fernsehens ins Ausland. Seit 2002 ist das Staatsfernsehen weltweit via Satellit zu empfangen. Da gibt es speziell für die Auslandsvietnamesen eine Reportage, in der eine alte Frau ein Haus baute, das der Sohn aus Deutschland finanziert hat. Bewegende Bilder zeigen die Dorfgemeinschaft, die sich mit der alten Dame freut und stolz ist auf den Sohn. „Diesen Stolz kann ihm kein Europäer vermitteln. Das kann nur die vietnamesische Gemeinschaft“, appelliert der Sprecher an das Nationalgefühl der Vietnamesen in Europa.

Künftig werden die bereits ohnehin personell aufgeblähten Botschaften noch um Personal für die Arbeit mit Auslandsvietnamesen aufgestockt. Die sollen etwa Sommerlager für vietnamesischstämmige Kinder organisieren, damit sie Vietnamesisch lernen und wissen, wer Ho Chi Minh ist.

Weil insbesondere in Osteuropa und Ostdeutschland schlecht integrierte Vietnamesen oft sieben Tage pro Woche arbeiten – nicht zuletzt, um Geld in die Heimat zu schicken, entfremden sich ihre Kinder von ihnen und der vietnamesischen Kultur. Die Partei sorgt sich, dass gut integrierte Auswanderer aus der zweiten Generation nicht mehr die Verwandten in Vietnam unterstützen. Die Partei will deshalb Sprachlehrer für Kinder ins Ausland entsenden. Dabei soll bei den Maßnahmen der Botschaften kein Unterschied gemacht werden, „warum die Menschen Vietnam verlassen haben“. Ein indirektes Geständnis, dass dies bisher der Fall war.

Dabei kann Vietnams Regierung auch politisch mehr Zuspruch aus dem Ausland gebrauchen. Wird in Vietnam etwa ein Pfarrer wegen regierungskritischer Aktivitäten verurteilt, sind es die Exilorganisationen in Westeuropa und Nordamerika, die Hanoi an den Pranger stellen. In den dort fest verankerten Vereinen gehören allerdings Versuche, die Regierung in Hanoi mit im Ausland an Waffen trainierten Exilvietnamesen zu stürzen, längst der Vergangenheit an. Dagegen wird die alte südvietnamesische Nationalhymne in vielen dieser Vereine bei Feiern noch gesungen.

In Ostdeutschland und Osteuropa haben Vietnams Botschaften noch eine große Autorität. Denn dorthin wurden bis 1990 junge Vietnamesen als Vertragsarbeiter, Studenten oder Auszubildende entsandt. Noch heute schlichten dort Diplomaten Konflikte zwischen Landsleuten, die etwa Billigartikel „Made in Vietnam“ vertreiben. Hanoi hat ein Interesse am Erhalt dieser abgeschotteten Subwirtschaften, denn der Gewinn fließt zu hundert Prozent in vietnamesische Taschen.

Besonders in Tschechien gelang es der Botschaft bereits in den vergangenen Jahren, ihren Einfluss unter den Migranten zu stärken. Ohne Regierungsnähe hat man dort kaum Chancen etwa auf eine Exportgenehmigung. Hingegen mussten kritische Studenten, die sich 1989 an der „Samtenen Revolution“ beteiligten, das Land verlassen. Mehreren wurde bei ihren anschließenden Asylverfahren in Deutschland und Frankreich eine Verfolgung durch vietnamesische Behörden in Tschechien attestiert. Andere mussten, so Vu Quoc Dung, gegenüber der Botschaft politischen Aktivitäten abschwören, um nicht Verwandte in Vietnam zu gefährden. MARINA MAI