Geifer mit Eifer

Donna Leons elfter Brunetti-Krimi „Die dunkle Stunde der Serenissima“

Wer solch autoritärem Gezicke zwanzig Jahre zuhört, bekommt den Masochistenorden in Gold

Donna Leon ist eine Kriegerin, eine Streiterin gegen das Böse auf der Welt. Das Böse, da ist sich Donna Leon ganz sicher, ist vielfältig, aber immer ist es männlich. In einem Gespräch für den Tagesspiegel redet sich Frau Leon vom Start weg in Rage und herrscht die Interviewer noch vor der ersten Frage an: „Stopp! Kennen Sie Eminem? Ich kannte ihn nicht, dann habe ich im New Yorker etwas über ihn gelesen, mit Auszügen aus seinen Texten. Schrecklich! Gewaltverherrlichend! Gewalt gegen Frauen! Gewalt gegen Kinder! Wer hört sich so etwas an?“

Ja, wer hört sich so etwas an? Donna Leon jedenfalls nicht – das braucht sie auch nicht, denn sie weiß ja schon alles. Sie hat aus einer Sekundärquelle genippt, das reicht ihr für ein Urteil. Wie gut für Donna Leon aber, dass sie ein Gegengift wider das Böse gefunden hat: „Eminem macht mir Angst, Händel macht mich glücklich.“

So beschränkt wie die Wahrnehmung Donna Leons ist auch die Weltsicht ihres literarischen Alter Egos. Hauptfigur in Donna Leons Kriminalromanen ist Paola Brunetti, eine kämpferische Akademikerin, die regelmäßig über die Jugend von heute lamentiert, mit Platon und Virgil droht und mit Bürgerbildung angibt wie ein Sack voll Mücken. Paola Brunetti ist mit dem Commissario Guido Brunetti verheiratet; der enttäuschenden Welt voller Menschen, die nicht von morgens bis abends Dante lesen oder Händel hören, stellt Donna Leon die Reißbrettgeschichte einer perfekten Ehe entgegen, wie Donna Leon sie sich vorstellt. Auch im inzwischen elften Brunetti-Roman, „Die dunkle Stunde der Serenissima“, ist die Angelegenheit so lebendig wie ein Zwangsidyll nur sein kann. Paola Brunetti schlägt einen Ton an, der jeden Menschen von messbarem Verstand davonrennen ließe: „Du weißt, dass ich das anders sehe, Guido, schließlich haben wir oft genug darüber gesprochen.“

„Wir haben oft genug darüber gesprochen“: So, nach Art des Chefs, reden ekelhafte Eltern mit ihren Kindern, ekelhafte Männer mit ihren Frauen, und so lässt Donna Leon ihre Paola Brunetti mit ihrem Mann reden, seitenweise: „Das solltest du inzwischen wissen, das heißt, falls du mir in den letzten zwanzig Jahren je ernsthaft zugehört hast.“ Wer solchem autoritären, einschüchternden Gezicke zwanzig Jahre zuhört, und das auch noch ernsthaft, bekommt den Masochistenorden in Gold. Immerzu traktatet Paola Brunetti die ideologischen Thesen ihrer Erfinderin Donna Leon auf Guido Brunetti und auf alle Leser herunter: „ ‚Ich glaube, die meisten Männer haben keine Freunde‘ “, glaubt Paola Brunetti – nein, sie weiß es: „ ‚Ihr habt bestenfalls Kumpels, Männer, mit denen ihr euch über Sport unterhalten könnt, über Autos und Politik. Und nach einigem Nachdenken‘ “ – „Nachdenken“ ist wirklich ein schönes Wort für das Zeug – „räumte sie ein: ‚Gut, da du in Venedig lebst und bei der Polizei bist, kannst du wahrscheinlich die Autos durch Boote und Waffen ersetzen. Aber es geht jedenfalls immer um materielle Dinge, und am Ende läuft es auf das Gleiche hinaus: Ihr sprecht nie über eure Empfindungen, eure Ängste, nicht so, wie Frauen es tun.‘ “

Man kennt diesen Tonfall der Generalunterstellung und Verdächtigung aus den Siebziger- und Achtzigerjahren: Männer haben keine Gefühle, jedenfalls nicht so wertvolle wie Frauen, und wenn doch, dann können sie die Gefühle nicht zeigen, und überhaupt: Jeder Mann ist ein potenzieller Vergewaltiger! In Donna Leon hat jener Altgirlfeminismus überlebt, in dem die blanke Denunziation sich für ihren eigenen Beweis hält. Donna Leon betrachtet Männer, wie der Schnellrichter den Deserteur ansieht. Das Urteil steht längst fest.

Wo Donna Leon nicht mit Weisheiten aus dem Binsenladen und mit moralisierendem Gekeife quält, füllt sie die Seiten mit Depeschen von allergrößter Nichtigkeit: „Nach dem Essen überraschten die Kinder ihre Eltern damit, dass sie sich freiwillig für den Abwasch meldeten.“ Zugunsten jüngerer Leserinnen fehlt auch nicht die katzbuckelnde Verbeugung vor dem Konsumfeminismus à la Vogue. Auf Brunettis hübscher Sekretärin Signorina Elettra holt sich die Autorin regelmäßig einen runter. Wie es schmuddelige alte Säcke gibt, so gibt es eben auch schmuddelige alte Säckinnen.

„Die dunkle Stunde der Serenissima“ entbehrt jeglicher Spannung und jeglichen erwägenswerten Gedankens. Die Mischung aus Langeweile und Geifer indes wird als Literatur gefeiert. Auf dem Rückumschlag zitiert der Diogenes Verlag die Times: „Packender Plot, wunderbar atmosphärisch“ usw. Das allerdings sagt nichts über Donna Leon, bloß alles über das Gewerbe der Literaturkritik.

Zum Schluss für die Übersetzerin Christa E. Seibicke einen Hinweis, den ich von Harry Rowohlt habe: „Wenn ich je wieder ein so bequemes [Sofa] finden würde“ geht nicht. Denn, so sagt Harry Rowohlt ganz akkurat: „Nach ‚wenn‘ nie ‚würde‘ – außer in: ‚Wenn Würde töten könnte.‘“

WIGLAF DROSTE