Dabei sein war gar nichts

Olympia is coming home. Auch Wissenschaftler aus Nordrhein-Westfalen befassen sich im Olympiajahr mit dem antiken Vorbild, den olympischen Spielen der Antike und der vom Wettbewerbsgedanken besessenen griechischen Gesellschaft

VON HOLGER ELFES

Sie sind das sportliche Großereignis dieses Jahres – die Olympischen Spiele in Athen. Nachdem es zum 100-jährigen Jubiläum 1996 noch nicht geklappt hatte, da der Coca-Cola-Metropole Atlanta der Vorzug gegeben wurde, kehren die Spiele jetzt zu ihren antiken Wurzeln zurück. Ob sie mit denen wirklich so viel gemeinsam haben, haben auch Wissenschaftler aus Nordrhein-Westfalen untersucht.

Forscher der Sporthochschule Köln rekonstruierten einige der Sportarten, die zum Programm der antiken Olympischen Spiele gehörten. In außergewöhnlichen Experimenten gab es neue und überraschende Einblicke in die Leistungsfähigkeit antiker Sportler. Gert-Peter Brüggemann, Leiter des Instituts für Biomechanik, wählte eine der klassischsten Disziplinen aus: den Diskuswurf. Heutige Spitzensportler wie Matthias Spahn, Deutscher Meister im Zehnkampf, durften mit einem Nachbau der größeren und schwereren Metallscheibe hantieren. Zeitlupenaufnahmen zeigen, warum Spahn der antike Wurf so schwer fällt: Er muss eine andere Technik anwenden. Das leichtere, moderne Gerät ermöglicht eine ausgeklügelte Drehung. Mit der großen Scheibe war das nicht möglich, der Diskus würde dem Sportler aus der Hand fallen. Die erforderliche Wurftechnik, nur mit dem Schwung einer halben Körperdrehung, ist reine Kraftsache.

Die antiken Athleten müssen wahre Muskelprotze gewesen sein. Weitspringer bedienten sich zwei Kilogramm schwerer Steingewichte in den Händen, mit denen sie beim Fünfsprung aus dem Stand glatt einen halben Meter zulegten. Den überlieferten antiken Rekord von über 16 Metern schafften bei den Tests auch moderne Spitzenathleten nur mit den Zusatzgewichten.

AUSSTELLUNG

Einen ganz bildlichen Eindruck von Sport und Olympischen Spielen kann man zur Zeit an der Universität Bonn bekommen. Das Akademische Kunstmuseum der Uni zeigt noch bis zum 31. Oktober die Sonderausstellung „Sportschau – Antike Athleten in Aktion“, konzipiert und organisiert von einer Gruppe Nachwuchswissenschaftler aus Archäologie, Alter Geschichte und Sportgeschichte. Bei einem Rundgang können Besucher antike Sportler vom Training bis zur Siegerehrung begleiten. Anhand von 70 Exponaten gibt die Ausstellung einen Überblick über den antiken griechischen Sport. Darunter sind zahlreiche bemalte Tongefäße, Statuetten und Statuen von Athleten sowie Reliefs mit Darstellungen von Sportlern und originale Sportgeräte. Highlights sind ein speziell für die Ausstellung erstelltes Modell einer antiken Trainingsstätte und ein Modell des Heiligtums von Olympia. Geöffnet ist die antike Sportschau täglich außer samstags.

BUCH

Mit den politischen und religiösen Hintergründen der antiken Spiele befasst sich ein für Geschichtslehrer und historisch Interessierte geschriebener Sammelband mit wissenschaftlichen Arbeiten rund um den antiken Sport. Das von der Bochumer Althistorikerin Linda-Marie Günther herausgegebene Buch „Olympia und seine Spiele“ verrät im Untertitel, worum es damals wie heute ging: Kult – Konkurrenz – Kommerz. Wohl kaum zwei andere Gesellschaften in der Weltgeschichte haben dem Sport einen so breiten Raum eingeräumt wie die antike griechische und die moderne europäisch-amerikanische. Unterschiede gibt es aber dennoch. „Das antike Griechenland war eine extrem leistungsorientierte Gesellschaft mit einem fast neurotischen Drang zum Austragen von Wettbewerben und Erstellen von Ranglisten, der alle Gesellschaftsbereiche erfasste“, skizziert Stefan Müller aus Hagen den „Way of Life“ der Zeitgenossen von Homer und Perikles. „Es gab Agone [Wettkämpfe; die Red] der Schulkinder, der Philosophen, Agone im Wett-Trinken oder lange Wach-Bleiben, im Rätsel-Lösen, ja sogar im Küssen und im Ertragen körperlicher Schmerzen“, so Müller. Obwohl vieles davon durchaus an die „Errungenschaften“ des modernen Medienzeitalters erinnert, waren die Regeln in der Antike bei weitem härter. Das Prinzip des „Dabei sein ist alles“ ist zwar auch heute nicht mehr so ganz wahr, in Olympia aber war der Sieg alles, die Verlierer fuhren mit Schimpf und Schande nach Hause. Müller: „Daraus erklärt sich auch, dass in den Olympischen Siegerlisten nur der Name des jeweiligen Siegers überliefert ist, kaum einmal kennen wir durch einen Zufall der Überlieferung die Namen eines Zweit- oder Drittplatzierten.“ Während es heute immerhin Silber- und Bronzemedaillen gibt und auch Sympathieträger auf den hinteren Plätzen noch lukrative Werbeverträge einheimsen können, hieß es damals “The winner takes it all.“ Es habe zwar keine direkten Preisgelder bei den Spielen von Olympia gegeben, erzählt Linda-Marie Günther:“ Das dadurch errungene Prestige war aber ein geldwerter Vorteil.“ Die Heimatstädte belohnten ihre erfolgreichen Athleten fürstlich. Eine lebenslange kostenlose Luxus-Speisung im vornehmen Prytaneion oder eine auskömmliche Staatsrente war für einen Olympiasieger drin. Hinzu kamen die für die griechische Polis so wichtigen Kontakte. Zu finanzkräftigen Sponsoren etwa, die mit dem Sportler warben, oder zu Politikern, die ihn in ihrer Ämterkarriere einbanden. Preisgelder konnte er zudem bei der Vielzahl der kommerziellen Sportwettkämpfe im Lande kassieren.

Nicht nur um den Sport ging es. Auch musische Wettbewerbe fanden dort zu Ehren des olympischen Zeus statt. Im Dichten und Singen konnte man sich dort messen. „Auch das Herolds-Ausrufen war eine olympische Disziplin“, so Günther, „eigentlich so eine Art Wettstreit der antiken Journalisten.“