Noch ein „SOS“ vor dem Untergang

Erneut sinkt ein russisches Atom-U-Boot in der Barentssee. Sieben Besatzungmitglieder werden immer noch vermisst. Verteidigungsminister Sergej Ivanov kritisiert „elementaren Leichtsinn“. Umweltschützer befürchten radioaktive Verseuchung

aus Moskau KARSTEN PACKEISER

„Grobe Fahrlässigkeit“ der befehlshabenden Offiziere ist nach Angaben des russischen Militärs die Ursache für den erneuten Untergang eines russischen Atom-U-Bootes in der Barentssee. Für die noch an Bord der „K-159“ verbliebenen sieben Besatzungsmitglieder gab es gestern keine Hoffnung mehr. Ein Seemann war nach dem Unglück lebend gerettet worden, zwei weitere Männer konnten nur noch tot geborgen werden. Im August 2000 war in derselben Region bei Manövern der Nordmeerflotte das Atom-U-Boot „Kursk“ mit 118 Menschen an Bord gesunken. Die letzte Fahrt der „K-159“ in der Nacht zum Samstag sollte anders verlaufen: Das U-Boot befand sich auf dem Weg von einem Marinestützpunkt auf einer Insel vor der Kola-Halbinsel zur Abwrackwerft in der Stadt Poljarnyj nördlich von Murmansk. Bei starkem Seegang rissen die Trosse, die das ausgemusterte U-Boot mit mehreren Schwimm-Pontons verbanden. Kurz vor dem Untergang funkte die Besatzung noch einen S.O.S.-Ruf.

Die Marine startete umgehend eine groß angelegte Rettungsoperation. Zwar gilt es als wahrscheinlich, dass die sieben noch vermissten Besatzungsmitglieder sich an Bord des U-Bootes befinden, doch auch die Wasseroberfläche rund um den Unglücksort wurde gestern noch abgesucht. Die „K-159“ liegt nach Angaben des russischen Verteidigungsministers Sergej Iwanow in 238 Meter Tiefe.

Iwanow, der sofort nach Murmansk geflogen war, erklärte, während des Transports der „K-159“ nach Poljarnyj sei grob gegen Sicherheitsvorkehrungen verstoßen worden. „Es gab elementaren Leichtsinn, gepaart mit der typisch russischen Einschätzung, dass irgendwie immer alles gut geht“, sagte Iwanow Medienberichten zufolge. Russische Flottenexperten kritisierten, das U-Boot hätte gar nicht transportiert werden dürfen, während sich an Bord Menschen befanden. Außerdem entschloss sich der befehlshabende Offizier trotz Sturmvorhersage, die Fahrt anzutreten.

Die „K-159“ gehörte zur ersten Generation der russischen Atom-U-Boote und war 1963 in Dienst gestellt worden. Nach Militärangaben wurden die Reaktoren der „K-159“ zwar bereits 1989 bei der Ausmusterung abgeschaltet. An der Unglücksstelle sei keine erhöhte Radioaktivität messbar, so die Nordmeerflotte.

Umweltschützer befürchteten dennoch, dass nach dem Unglück die Barentssee radioaktiv verseucht werden könnte. Der ehemalige Marine-Offizier und Umweltaktivist Alexander Nikitin sagte im russischen Fernsehen, angesichts des hohen Alters der „K-159“ könne nicht garantiert werden, dass der Reaktor hermetisch abgeschlossen bleibe. Insgesamt liegen nach dem jüngsten Unglück sieben Atom-U-Boote auf dem Meeresgrund. Die „Kursk“ wurde mit enormem technischem Aufwand vom Grund der Barentssee gehoben. Auch die „K-159“ soll nach Angaben von Sergej Iwanow geborgen werden. Bis der technische Ablauf dieser Bergung detailliert feststehe, würden aber noch mehrere Monate vergehen.