brechreiz beim debilen bäcker von JOACHIM FRISCH
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Die zeitgenössischen Formen der Erniedrigung und Beleidigung des Proletariats sind vielfältig. Hartz IV ist eine böse, das Fernsehen eine plumpe. Man kennt sie, findet sich damit ab oder kämpft aussichtslos wie einst Don Quijote.

Eine besonders perfide Art aber haben sich die Dunkel- und Hintermänner meines bevorzugten lokalen Brötchenkonzerns ausgedacht. Sie demütigen uns nicht einfach, sondern sie zwingen uns zur Selbstdemütigung. Das geht so:

Der Oberbäcker schraubt sich im Morgengrauen derart dämlich infantile Namen für sein leckerstes Backwerk aus den Hirnkurven, dass schon der Anblick des geschriebenen Wortes jeden Menschen, dem die Sprache nur einen Zehner-Semmel wert ist, Brechreiz hervorruft. Achtung, lieber Leser, tief einatmen: Er heißt seine Brötchen nämlich: Kraftikus, Röggelchen, Kartöffelchen, und die leckersten von allen gar – wurps – Knackfrische! Sie winseln bereits um Gnade? Genug? Genug!

Nun schreibt der Bäcker kleine Schildchen, die er in seinen Filialen vor die Regale pappt, stellt maulfaule junge Damen mit leichtem Knick in der Optik als Verkäuferinnen ein und lässt der Tortur ihren Lauf. Anders lässt sich nicht beschreiben, was ich in meiner Bäckereifiliale täglich erlebe. Hunger und Gier nach den goldbraunen, dezent gestäubten Brötchen („Knackfrische“) sind stark, der Ekel vor dem Wort und die Angst vor der Peinlichkeit seiner Aussprache im Beisein erwachsener Menschen ist stärker. Ich deute auf das Regal, sage: „Sechs davon“, und prompt greift die Verkäuferin die Sesambrötchen. „Nein, daneben“, stottere ich, sie packt die Laugenbrötchen. „Nein, äh, sechs Normale …“ – „Wir haben keine Normalen, nur Röggelchen, Kartöffelchen, Kraftikusse, Knackfrische …“ – „Genau die!“ – „Also Röggelchen?“ – „Nein, äh …“ Mein Kopf ist kurz vor dem Platzen. „Welche denn nun, junger Mann …?“

Der Silberblick der Verkäuferin schweift, betont genervt und gelangweilt, über die Gesichter der inzwischen ansehnlich gewordenen Kundenschlange und sagt: Seht her, wegen eines solchen Deppen, der nicht in der Lage ist, eine ganz gewöhnliche Bestellung aufzugeben, müssen jetzt alle warten und kommen zu spät ins Büro oder zur Talkshow mit dem Pastor Fliege. Ich versinke vor Scham.

Zu Hause gibt’s noch eins drauf: „Wieso bringst du sechs Mohnbrötchen an, die isst doch hier kein Mensch.“ Die wissen hier halt nichts von meinem glorreichen Kampf. Ich habe Hunger, aber ich habe widerstanden. Ich habe mich nicht erniedrigt. Und ich profitiere für mein weiteres Leben.

Der weit verbreitete Selbstbewusstseins-Steigerungstrick, dass die Angst vor einer Autorität schwindet, wenn man sich diese nackt in der Sauna vorstelle, mochte bei mir noch nie so recht funktionieren, allenfalls in Kombination mit Adiletten an pilzigen Füßen. Nun aber habe ich mein persönliches Autoritätszerstörungsbild gefunden: Ich schicke eine Autorität oder hochgestellte Persönlichkeit in Gedanken zum Bäcker und lasse sie „zwei Knackfrische, ein Kraftikuss und ein Kartöffelchen“ ordern. Kann man vor jemandem, der solch einen Stuss öffentlich ausspricht, Respekt haben?