: „Äh … ich weiß … äh … nicht“
Fusion aus Medien-Kalifornien und schwulem Undergroundfilm sowie die alternative Sommerromanze des Jahres: Everett Lewis’ Dennis-Cooper-Adaption „Luster-Lust“
Jackson hat blau-schwarz verwuschelte Haare und arbeitet in einem Indie-Plattenladen in Los Angelos. Er skatet, nimmt Drogen, hat Sex mit Männern – und er dichtet: „Nach einer Nacht voll Sex und Drogen – so beginnt alles was ich schreibe …“ „Luster-Lust“ ist „situationsorientiert“, was zunächst einmal heißt, dass ein Handlungsfaden fehlt. Ungefähr darum geht es: Alle sind in Jackson verliebt, sogar sein heterosexueller Boss im Plattenladen. Jackson jedoch liebt Billy, und Billy wiederum ist in ein Sex-Gewalt-Ding mit einem Rockstar namens Sonny verliebt. Ein Cousin von Jackson taucht auf und hat Sex mit Billy, mit einer Lesbe und auch mit Jackson. Am Ende gibt es einen Selbstmord und es erfolgt eine weitgehend unüberzeugende Wende zur Anpreisung authentischer Liebe. Wahrscheinlich der Authentizität wegen zieht sich Jackson dann auch aus.
Seit den Achtzigerjahren wird in der amerikanischen Literatur und im amerikanischen Film ein Kalifornienbild vermittelt, in dem Post-Punk, Drogen und Sadomaso-Sex freudlose Jugendfeste feiern. In „Luster-Lust“ geht dieses Medien-Kalifornien mit dem schwulen Undergroundfilm eine Fusion ein. Das Resultat ist nicht wirklich überzeugend. Dafür aber ein bisschen tragisch, denn der Regisseur Everett Lewis hat zu Beginn der Neunzigerjahre mit „A Natural History of the Parking Lot“ ein vielversprechenden Debüt vorgelegt.
„Luster-Lust“ wirbt aber nicht nur damit, von Everett Lewis zu sein. „Nach einer Nacht voll Sex und Drogen …“, so beginnt zwar nicht alles, was der amerikanische Autor Dennis Cooper schreibt, aber es könnte als Motto über seinen Werken stehen. In „Luster-Lust“ werden häufig Texte von Cooper aus dem Off zitiert. Der San Francisco Chronicle hat Cooper mit „de Sade, Baudelaire, Edgar Allan Poe“ verglichen und der britische Guardian schrieb, den Cooper’schen Kalifornienslang imitierend, er sei „um … äh … weißt du … einfach großartig“. Nach der Lektüre der Cooper’schen Orgien aus Heroin, Speed und pädophilem Homo-Inzest fühlt man sich selbst als durchschnittlich depravierter Berliner wie ein junges Lamm, das sein Leben lang auf grünen Wiesen weidete. Dass Jackson fortwährend Cooper zitiert, sich aber Sorgen darüber macht, ob Sex mit dem Cousin Inzest ist, ist einigermaßen absurd. Der Cousin im Übrigen sieht aus wie ein durchaus attraktiver Mid-Westerner, durchtrainiert und brustbehaart, aber was soll man sagen? Gerade damit entspricht er nicht im Geringsten dem Schönheitsideal der Cooper-Romane – nämlich schlaksigen Jungs mit langen Haaren, großen Augen und Lippen, die dem Skaten und den Drogen verfallen sind. Es ist, als würde man Texte über den Charme Heroin rauchender Schulmädchen in Punkrockbands mit Bildern allzu gesunder Baywatch-Nixen verbinden. Beides hat seine Liebhaber – aber es ist nicht die gleiche Ästhetik.
Das Abwegigste an dem Film aber ist seine Trash-Ästhetik und der durchaus unfreiwillige Humor. Am Anfang besucht ein Typ Jacksons Plattenladen, um eine Madonna-Platte zu kaufen. Er sieht aus wie „hier kommt der schwule Nerd“, spricht auch so und wird von Jackson mit großem Verve aus dem Laden geworfen. Rockstar Sonny wiederum wird von Willie Garson gespielt, der eine gewisse Prominenz als Der-schwule-Freund-von-Carrie in „Sex and the City“ hat. Als „Rockstar mit heterosexuellem Image“ ist er eine groteske Fehlbesetzung. Ja, Camp!, wird man jetzt entgegenhalten wollen – aber, sorry: Das kann wirklich nicht alles entschuldigen. Dennis Cooper mag manches sein, vielleicht sogar geschmacklos, eines ist er nicht: Er ist nicht Bruce La Bruce, er ist nicht Rosa von Praunheim, er ist nicht Camp. Vor allem transportieren seine Texte nicht diese Aura aus fehlendem Geschmack und fehlenden Finanzmitteln, die das ästhetische Geheimnis eines Großteils des schwulen Undergroundfilms ausmachen. Sagen wir es mit einer Spex-Analogie: Wenn „This Love“ von „Maroon Five“ der alternative Sommer-Hit des Jahres ist, dann ist „Luster-Lust“ die alternative Sommerromanze des Jahres. Aber beide sind auch um … äh … weißt du … ein bisschen langweilig. MARCO STAHLHUT
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