der kommentar
: Im tödlichen Winkel

Es ist gesund, umweltfreundlich, vernünftig und das tödlichste Fahrzeug im Stadtverkehr: das Fahrrad

Als großstädtischer Fahrradfahrer glaubt man ja gerne, seine natürlichen Feinde im Verkehr genau zu kennen, vor allem Lastwagen oder Busse: Dieser Wendekreis! Erst gestern wurde eine 59-Jährige vom Müllwagen überrollt – und ist damit alleine in Berlin das neunte Todesopfer von insgesamt 2.600 polizeilich registrierten Fahrradunfällen.

Viele Lkws und alle öffentlichen Stadtbusse wurden inzwischen mit zusätzlichen Außenspiegeln ausgestattet, um dumme Überraschungen beim Rechtsabbiegen zu vermeiden.

Nun nützt der schönste Spiegel nichts, wenn niemand reinschaut. Das eigentliche Problem ist nicht der tote Winkel oder der müde Fernfahrer – sondern das Fahrrad selbst. Als Vehikel der Vernunft segnet es seinen Fahrer mit einem guten Gewissen hinsichtlich der eigenen Umwelt und Gesundheit. Die moralische Überlegenheit des Radlers fördert das latente Gefühl, die übrigen Verkehrsteilnehmer hätten diese wehrlose Rechtschaffenheit mit gesteigerter Vorsicht zu honorieren. Das ist zwar korrekt – aber eben auch so bestürzend dumm wie ein Goldfisch, der gegenüber hungrigen Piranhas seine drollige Harmlosigkeit geltend machen will. Oder wie Mütter, die ihre Kinder in Fahrradanhängern einem Schlachtfeld aussetzen – weil sie den Verkehr für eine faire Veranstaltung halten. Idealerweise sollte er das auch sein. Aber vielleicht gibt es ja sinnvollere Ideale, für die es sich zu sterben lohnt. FRA